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Rom; vielleicht: um in dieser Stadt der
Contraste einen Contrast mehr zu bilden,
vielleicht: weil es die Scheu nicht kennt,
welche die alten Völker vor der Antike
in Ehrfurcht hält. Es kennt die geheimen
Fäden nicht, die uns an Rom ketten, uns
von ihm lösen Die Gegenwart und ihre
Neugier verlassen hier unser Herz — und
unser Herz erlischt. Wie ein Strahl, den
die Sonne zurückzieht, so kehren wir
zurück zur allgemeinen Menschheit —
und auf eine kleine Weile stirbt unser
armes Ich mit seinen Sorgen. Denn eine
ewig verschwundene und verklungene
Welt, deren Bild Stein und Marmor auf
die Erde bannt, tritt da vor unsere
Augen. Diese göttlichen Gestalten, sinnend
oder schauend, gewaltig oder zart, er-
füllen unser Bewusstsein mit ihrer eigenen
Würde; welch edles Ding ist doch der
Mensch!
Und dies waren einst und sind doch
niemals unsere Brüder! Was Götter-
ähnliches unter den Menschen wandelt,
ist kein Volk mehr; es leidet und strebt
— statt zu triumphieren.
Uns ist, als dächten wir Jahrtausende
zurück, als stünden wir am Quell des
Meeres, dessen zahllose Wellen Zeit und
Raum erfüllen. Und wir erkennen uns
selbst als diese Flut, die nur Zeit und
Raum zu ihrer Brandung hat, sich ewig
thürmt und müht und nie ihr Ufer ersieht.
Wer dann in solcher Stimmung und
zur richtigen Stunde auf den Corso zu-
rückkommt, der steht zuletzt wie betäubt
vor dem grauen Palast der Piazza di
Venezia. Hier hat der Taumel ein Ende
— und wie ein greller Laut ohne Nachhall
scheint das Getriebe. Todt scheinen sie, die
da leben, vergangene Scharten klingen
plötzlich an, und altes Gemäuer ruft.
Immer tiefer senkt sich der Blick.
Roms Größe thut sich uns auf, die All-
gewalt ihrer Contraste wirkt vernichtend
und erhebend zugleich, der Beschauer
versinkt in ungetrübte Tiefen des Gefühls.
Aber bald wird er seinen Betrachtungen
entrissen — von neuem stürmen
Kaleschen heran; eilig haben es die herr-
schaftlichen Kutscher, und strenge blicken
sie von den hohen Sitzen herab auf
den zurückweichenden Fußgänger. In
solch vornehmer Eile geht es in die Santa
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Cecilia. Dort wird in einem Augenblicke
ganz Rom versammelt sein.
»Was soll es dort?«
»Kammermusik soll’s! Bach und
Schumann sollen’s!«
Da trieb auch mich eine große Neu-
gierde hin. Als ich anlangte, war der
Saal schon dicht gefüllt. Von der ge-
sammten eleganten Fremdencolonie fehlte
auch nicht ein Glied — und in der Luft
schwebte ein ungeheurer Vorrath von Be-
wunderung.
Da steigen vier Herren auf das
Podium, und das Concert beginnt. Erst
lausche ich ein Weilchen, blicke dann
erstaunt auf, lausche von neuem und
sehe wieder ringsumher, allein alle Blicke
sind den meinen abgewendet und gehen
nach einer Richtung hin. Ein hoher
Spiegel wirft mein Bild zurück, und ich
nicke mir beklommen zu. Mittlerweile
rauschen Bravorufe, rauscht Applaus, ein
fünftes Männchen aber kommt heran,
setzt sich rüstig zu den Vieren — und
es geht von neuem los.
Auf dem Programm stand das Quin-
tett von Schumann, das allzubekannte,
aber es war ein Quintett für Buffalo
Bill! Denn es war ein Solo! Ein solches
Missverständnis war mir noch nie begegnet!
Die erste Violine spielte sehr gut; ein
süßes Cantando, natürliche Anmuth und
dabei eine bewusste Sicherheit, die mit
jedem Bogenstriche sagen wollte: »Ich
kann’s!« Und die andern? Die zupften
kleinmüthig und schüchtern an ihren
Saiten, als gälte es, eine Primadonna
möglichst discret ins Licht zu stellen, und
als säßen sie zur Förderung des Soprans,
wie Leute, von denen nicht die Rede ist,
bescheiden und ohne Wahlrecht hinter
dichten Oleanderbüschen. Sonst waren
sie guter Dinge, und keinem fiel es ein,
sich irgendwie bemerkbar zu machen.
Der Applaus aber steigerte sich zu be-
geisterter Höhe!
Da fiel mir das (von Ludwig Fulda
verballhornte) Märchen ein, in dem
der König im Nachtgewande einher-
schreitet und das ganze Volk ihm zu-
jubelt, dass er so herrlich gekleidet sei,
bis zuletzt ein kleines Kind dazwischen-
ruft: »Er hat ja gar nichts an!«
Nur dass mir der Muth gefehlt hat,
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