Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 9, S. 123

Occultismus und officielle Wissenschaft (Seiling, Max, Prof.)

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Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 9, S. 123

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SEILING: OKKULTISMUS UND OFFICIELLE WISSENSCHAFT.

geben. Denn Christiani hatte das Experi-
ment ungefähr so ausgeführt, wie eben be-
schrieben. So steht es also mit der Ent-
larvung des »gemeinen Betrügers« Slade!

Preyer hat, wie ich bei dieser Gele-
genheit nebenbei noch bemerken möchte,
auch an einem anderen Orte den Beweis
für seine geradezu sträfliche Unwissenheit
in Sachen des Okkultismus erbracht. In
der »Deutschen Rundschau«, Bd. 17, S. 90,
spricht er nämlich zum Zwecke der Er-
klärung des Tischrückens — man traut
seinen Augen nicht — von »am Ärmel
zu tragenden Hakenknöpfchen, durch
welche man ein Tischchen schweben,
sich neigen, laufen und tanzen lässt,
ohne die es berührende Hand sichtbar
zu bewegen.« Dass es sich beim
Tischrücken denn doch um etwas
mehr handelt, als um einen so läppi-
schen Betrug, weiß heutzutage schon
manches Kind.

Um auf Haeckel zurückzukommen,
so sei noch auf folgenden Umstand auf-
merksam gemacht. An der Spitze jedes
der 20 Kapitel der »Welträthsel« finden
sich Litteraturangaben, welche den Leser
in den Stand setzen sollen, in die be-
treffenden Gegenstände tiefer einzudringen.
Im Kapitel vom »Wissen und Glauben«,
in welchem der Spiritismus abgeschlachtet
wird, findet man jedoch keine Spur von
okkultistischer Litteratur, was sich bei der
unbedingten Ehrlichkeit seiner Forschung,
welche Haeckel ausdrücklich und wieder-
holt betont, sonderbar ausnimmt. Er hätte
ja zu den erforderlichen Litteraturangaben
bemerken können, dass er in Sachen des
Spiritismus auf dem Standpunkte des die
Forschung verschmähenden »unvernünf-
tigen Glaubens« (eines von Haeckel bei
der Religionskritik näher erläuterten Be-
griffes) stehe, des Glaubens nämlich, dass
die vom Spiritismus behaupteten Phäno-
mene, da sie den Lehren des materialisti-
schen Katechismus widerstreiten, von
vornherein als absolut unmöglich zu be-
zeichnen seien; dass er aber seinen
Lesern diesen Standpunkt nicht auf-
octroyieren, sondern vielmehr ihnen die
Mittel an die Hand geben wolle, sich
von den Phantastereien der Spiritisten
selbst zu überzeugen. Aber freilich kann
man ja Niemandem die Beförderung von

Umständen zumuthen, welche den Ein-
sturz des eigenen Hauses herbeiführen
könnten.

Denselben vollständigen Mangel an
Belegen und Quellenangaben zeigt das vor
zwei Jahren erschienene, auf strenge
Wissenschaftlichkeit Anspruch erhebende
Buch »Aberglaube und Zauberei« von
A. Lehmann, dem Director des psycho-
physischen Laboratoriums in Kopenhagen.
Sollte dies damit zusammenhängen, dass
Lehmann solchermaßen es leichter wagen
konnte, mehrere Berichte über okkulte
Thatsachen in wesentlichen Punkten in
ihr gerades Gegentheil zu verkehren, wie
es ihm von Dr. E. Bohn in den »Psychi-
schen Studien« (1899, Juli-Aug.) nach-
gewiesen worden ist? Wenn Lehmann —
um wenigstens ein Beispiel für die Ge-
nauigkeit seiner Angaben mitzutheilen —
Zöllner einen »alten Gelehrten« nennt,
der infolge seiner Altersschwäche von
Slade leicht betrogen werden konnte, so
kann dies eigentlich nur als Frechheit
bezeichnet werden, da Jedermann leicht
controliren kann, dass Zöllner damals
44 Jahre alt war.

Endlich sei ein fast schon traurig zu
nennendes Beispiel von Unbesonnenheit
erwähnt, zu der sich ein bedeutender
Gelehrter in seiner Abneigung gegen neue
Erscheinungen hinreißen ließ. Wilhelm
Wundt sagt in der Einleitung zu seiner
Abhandlung »Hypnotismus und Sugge-
stion« mit Bezug auf okkulte Phänomene
Folgendes: »Angenommen, mit allem
diesem und noch vielem anderen habe
es seine Richtigkeit, dann würde die
Welt, die uns umgibt, eigentlich aus
zwei völlig verschiedenen Welten zu-
sammengesetzt sein. Die eine ist die Welt
eines Copernicus, Galilei, Newton, eines
Leibnitz und Kant, jenes Universum ewig
unveränderlicher Gesetze, in dem das
Kleinste wie das Größte harmonisch dem
Ganzen sich einfügt. Neben dieser großen
Welt würde es aber noch eine kleine
Welt geben, und in dieser wäre Alles,
was in jener großen, erhabenen Welt
geschieht, auf den Kopf gestellt, alle
sonst unabänderlichen Gesetze zum
Nutzen hysterischer Personen gelegent-
lich außer Gebrauch gesetzt.« Diese
höchst unwissenschaftliche Äußerung ist

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 4, Nr. 9, S. 123, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-04-09_n0123.html)