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du dich nicht zu ihm erhöhen willst, da
er sich zu dir hinabgebeugt, und nicht der
Erbe seiner Herrlichkeit werden willst, sowie
er sich in deine Geringheit gekleidet?
Die Flügel des Schmetterlings zuckten
unruhig, als wollte er abermals sagen:
Beweise mir, dass all dies wahr ist!
Ich fuhr fort: Zweifle, das ist dein
angeborenes Recht, aber suche, das ist
deine ebenso angeborene Pflicht! Suche
nicht Namen, nicht Worte, nicht viel-
deutige Begriffe, suche das Unmittelbare
in seiner ungetrübten Eingebung beim
Kinde, bevor es noch zu deiner zer-
splitterten Gedankenwelt erwachte; suche
es im Gewissen, in der Reue, im Gebet
des Gläubigen, suche es im Zusammen-
hang und der Zweckmäßigkeit der ge-
schaffenen Dinge, suche es im Worte
des Lebens, das aus ewigen Quellen ge-
flossen. Verleugne nicht dich selbst, ver-
leugne deinen Übermuth und nenne dich
Glaube; doch wenn dieses Wort dich
schreckt, wähle ein anderes, nenne dich
das Resultat der Forschung. Lege Gewiss-
heit hinein, und du hast die Wahrheit
gefunden, die du suchtest!
Wieder bebten die Flügel des Schmetter-
lings. Ich glaubte, einen halberstickten
Seufzer zu hören: was ist Wahrheit?
Und im selben Augenblick war er ver-
schwunden in ungekannte Räume
Fort! Ich Thor! Dem Gedanken das
Undenkbare erklären zu wollen, ist es
nicht, als wollte ich das Wort zwingen,
das Unaussprechliche zu sagen? Wann
versteht der Gedanke das Wunderbare,
das ferne von all seinen Wahrnehmungen
in dem höheren Leben des Geistes in
uns und hoch über uns webt? Er fordert
Beweise, und wir bieten ihm alle Beweise
aus der Geschichte und dem Leben dar,
dass eine Wunderwelt allüberall in das
Irdische eingreift, aber glaubt er uns?
Nein, er kann nicht glauben, in dem
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Sinne, in dem wir uns den Glauben
denken — er kann nur fragen, vergleichen,
überzeugt werden und wissen. Sobald das
Übersinnliche ihm entgegentritt, lässt er
die Flügel sinken, und sein ungeheuerer
Reichthum verwandelt sich in hilflose
Armut. Er kann an der Seite eines
Apostels im Kerker sitzen, neben Luther
in der Klosterzelle, und ihnen als sprach-
gelehrter Dolmetsch des göttlichen Wortes
dienen, doch fragen sie ihn nach Sinn
und Inhalt des Wortes, so antwortet er:
das bin ich. Er ist es ja, der die Theo-
logie erfunden. Ich sage nicht, dass er
heuchelt; er spiegelt sich wirklich vor,
dass seine Lehre Leben ist. — Nimm
bloß dieses einzige Geheimnisvolle fort,
das er das Unmittelbare nennt, weil es
nicht durch seine Vermittlung entstand,
und er ist der Reichste unter den Reichen,
der Mächtigste unter den Mächtigen. Er
sucht ein Wort und findet oftmals keines.
Er findet es schließlich und zieht hinaus
in Armut und Elend; keiner hört ihn,
alle verachten ihn. Er fällt auf Felsen-
gestein, blüht und welkt; in die Dornen
und erstickt; auf den Weg und wird ver-
weht; in fruchtbare Erde und schlägt
Wurzel. Er wächst, breitet sich aus und
umschließt Zeiten und Geschlechter, wird
ein Weltengedanke und schreibt die Ge-
schichte von neuem. Dieses sind die aus-
erkorenen Gedanken; die unendliche Mehr-
heit stirbt in den ersten Keimen; andere
erstrahlen gleich einem Nordlicht über
einer Zeit-Epoche, aber verbleichen in der
nachfolgenden, und vergebens sucht man
sie am Firmament. Der Gedanke ist wie
strömende Luft, er theilt sich mit und
wird eine Seuche, an der viele erkranken;
ein anderesmal reinigt er die Atmosphäre
wie ein tosender Sturm; denn er nimmt
alle Formen der Laune an, gute und
schlechte; wer kann ihn bewachen?
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