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es gibt also kein gutes oder schlechtes Medium
im allgemeinen, sondern nur in der Anwen-
dung zu einem bestimmten Organismus; das
betreffende Medium kann schlecht sein für
einen bestimmten Organismus, der darin nicht
aufgewachsen ist und die Bedingungen des
Gleichgewichtes nicht ausgetauscht hat, und
es kann für einen anderen gut sein. Die auf
Fische tödtlich wirkende Luft ist eine Lebens-
bedingung für Wesen, die sich eine Lunge
ausgearbeitet haben. Kälte, die auf manche
Organismen vernichtend wirkt, ist für andere,
die viel Wärme hervorzubringen verstehen,
vortheilhaft u. s. w.
Können also Kämpfe und Schmerzen für
gewisse Persönlichkeiten nicht ein vortheil-
haftes Medium bilden, nämlich für diejenigen,
welche eine große Quantität von Kraft in sich
hervorzubringen vermögen?
Die Schmerzen sind deshalb schmerzhaft
und lebensgefährlich, weil sie den Lebenspuls
hemmen und den Stoffaustausch behindern. Es
ist aber ein solcher Organismus denkbar, in
welchem sie umgekehrt die Lebenskraft steigern
würden, und zwar durch Erregung von Wuth.
Ähnlich hemmt Kälte in manchen Orga-
nismen den Lebenspuls, während sie entgegen-
gesetzt in anderen denselben durch Anregung
zur Wärme-Erregung beschleunigt.
Kowalewska, die, wie uns bekannt ist, oft
Hartnäckigkeit zeigte, besaß bereits eine
gewisse Andeutung, einen Schimmer dieses
Kampfmittels. Es äußerte sich, indem sie
bemerkte, dass die Schläge stets in com-
binierter Weise eintreffen. Doch ertönt in ihrer
Bemerkung leider mehr Schmerz als Trotz
— offenbar war die Wiege ihrer Kindheit zu
weich, sie konnte ihrem Körper nicht die
»Härte« des Stahls verleihen. Wir haben hier
natürlich nicht die »Härte« von Nietzsche
im Sinne, sondern jene, welche die Seele des
Kämpfers vor dem Klageliede über sich selber
bewahrt.
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Endlich konnte Kowalewska in ihrem
Schmerz, wie viele weniger bedeutende Men-
schen, in der Gesellschaft natürlich keine Stütze
finden. Sie mied selbst die Nächsten. In Gesell-
schaft hieß der Stolz ihr, die Maske der Heiter-
keit aufzusetzen. Man sagte von ihr: »Wie heiter
und lebhaft sie heute ist«, gerade dann, als
der Schmerz in ihrem Innern am grausamsten
tobte. Die Rolle eines Königs zu spielen, wenn
man ein Elender ist, das kommt zu theuer.
Kein Wunder also, dass Kowalewska die Ein-
samkeit suchte und den Tod herbeiwünschte,
der auch nicht lange auf sich warten ließ.
Formell gesprochen, starb sie an Lungenentzün-
dung.
Ein Mensch, der den körperlichen Stoff
zur Bildung von Gehirnmasse verbraucht, der
die Lebenskraft in geistige Thätigkeit ver-
wandelt, gleicht einem Baumeister, welcher
ein Gebäude aus Felsenstoffen errichtet, die
unter dem Fundament verborgen liegen. Je
mehr Stoff er hervorholt, je höher zum Himmel
er die Gipfel seines Gebäudes emporhebt,
desto mehr vergrößert er den Abgrund unter
ihm, schwächt er die Basis und steigert den
Druck, der darauf ausgeübt wird. Endlich wird
das geschwächte Fundament bei diesem
rasenden Verlangen nach dem Himmel, bei
der fieberhaften Errichtung des Gebäudes bis
zur schwindelnden Höhe den Druck nicht
aushaken und das Gebäude wird noch vor
der Vollendung zusammenstürzen, ehe es den
Zweck erfüllen konnte, zu dem es so prächtig
errichtet wurde. — Mögen also die Baumeister
vorsichtig sein; wenn ihr Gebäude zu schwanken
beginnt, dann mögen sie zur richtigen Zeit
einen Theil des Stoffes in das Fundament
zurücktragen. Kowalewska gelang es nicht,
dies zu thun; sie konnte sich auch nicht,
wie wir zeigten, auf künstliche Grundlagen
stützen und deshalb ist ihr Gebäude, wenn
auch nicht fruchtlos, so doch sehr vorzeitig
in geheimnisvolle, nicht wiederkehrende Tiefe
verfallen.
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