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senden und klingenden Welten — den
Kopernikus beobachten und Tycho de
Brahe rechnen gelehrt hatte, ward es zur
unzerstörbaren Überzeugung, dass nicht
allein blind wirkenden mechanischen,
sondern auch bewusst gestaltenden Kräften
ein Antheil an der Erhaltung des Welten-
spieles zukomme. Der sehnsüchtige Ruf nach
Frieden, den die geängstigte Creatur so
oft erschallen lässt, fand seinen Wiederhall
in der Brust des kranken Mannes. Dem
rastlosen Streben der irdischen Menschheit
setzt er das in sich abgeschlossene Kräfte-
spiel des ganzen Planetensystems entgegen,
dem Missklange des irdischen Jammers und
Jubeins die nie gestörte Harmonie des
Planetenreigens.
Es ist bezeichnend für Kepler, dass er,
der Pythagoräer und Schüler Platos, die
schöne Mythe von der kreisförmigen Bahn
der Himmelskörper zerstören musste; er
zeigt, wie es nimmermehr Streben der
mystischen Weltbetrachtung sein kann,
die Erscheinungen anders darstellen zu
wollen, als sie wirklich verlaufen. Der
mystisch in die Welt blickende Geist »lügt
keine Phänomene«, er interpretiert sie
nur anders, als der emsig zählende und
registrierende Empiriker. Die Entdeckungen
der Ellipticität der planetarischen Bahnen,
die Kepler aus der sehr excentrischen Mars-
bahn erschlossen hat, war für den phantasie-
vollsten aller Naturforscher nur ein Finger-
zeig, die Harmonie Platos und der Pythago-
räer nicht in der räumlich gegebenen
Mannigfaltigkeit zu suchen, sondern in den
die Veränderung der Objecte im Raum
beherrschenden Gesetzen und Beziehungen.
Er verließ die geometrische Symmetrie,
der er noch im Mysterium cosmographicum
so viel Aufmerksamkeit und Nachdenken
zugewandt hatte. Schon ein flüchtiger
Anblick der organischen Natur musste ihn
erkennen lassen, dass geometrische Sym-
metrie nach den Richtungen der drei
Hauptachsen nicht jenes Ziel war, welches
er den harmonisch gestaltenden Kräften
des Kosmos im ersten Augenblicke zu unter-
legen bereit war. Der Leib des Menschen
allein, den er als Spiegelbild zum Makro-
kosmos anzusehen gewohnt sein musste, ist
nur nach einer Achse hin symmetrisch
und lässt sich nicht ohneweiters in einen
morphologischen Cañon zwängen.
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Deshalb wandte er sich einer anderen,
von der geometrischen ganz unabhängigen
und von ihr ganz verschiedenen Sym-
metrie zu, die nur den inneren Sinn,
dessen Form die Zeit ist, in contemplative
Ruhe zu versetzen vermag. Der Sym-
metrie stellte er die Harmonie entgegen.
Dieselben Verhältniszahlen, welche die Con-
sonnanz der Accorde bestimmen, müssen
auch in den Verhältniszahlen der solaren
Entfernungen zum Vorscheine kommen.
Stets bleiben die Zahlenverhältnisse conson-
nanter Accorde gewahrt; in kunstvoll
verschlungenen Bahnen dahinwandelnd,
versetzen die Planeten den Äther in
Schwingungen und erfüllen derart die
Welträume mit den ruhig verschwebenden
Tönen periodisch wechselnder Dur- und
Moll-Dreiklänge.
Dies ist der Inhalt der vielbelächelten
»Harmonice mundi«, in der eine Fülle der
tiefsinnigsten Ahnungen und geistvollsten
Hypothesen über metrische Verhältnisse
in der organischen und anorganischen
Natur, über den Zusammenhang der irra-
tionalen Zahlen mit geometrischen Ver-
hältnissen, über die morphologischen Bau-
gesetze des Thierkörpers, schließlich über
den Zusammenhang geometrischer und
musikalischer Symmetrie- Formen ver-
schwenderisch eingestreut sind. Von all
dem Genannten hat die Wissenschaft
unserer Tage nur dasjenige behalten, was
auf die Bestimmung der Bahn-Elemente
unmittelbar Bezug hat, während eine Reihe
von Behauptungen, die Kepler bloß auf
Grund seiner mystisch-harmonischen Welt-
Anschauung und seiner gründlichen Plato-
Studien in die Welt rief, in der Folge
durch die Fortschritte der theoretischen
Physik und der beobachtenden Natur-
wissenschaft ihre schönste Bestätigung
gefunden haben. Es sind dies: die Idee
einer von der Sonne ausgehend zu
denkende Centralkraft, die der Größe der
Massen direct und dem Quadrate ihres
Abstandes indirect proportional ist — im
Prodromus astronomicus; von der Existenz
eines kosmischen Ringes zwischen Mars
und Jupiter — bekanntlich der Ring der
im verflossenen Jahrhundert entdeckten,
sogenannten kleinen Planeten — in der
„Harmonice mundi“; und von der Bewohn-
barkeit der Planeten im „Somnium astro-
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