|
Der feierliche, fast salbungsvolle Ton
in den frühen Briefen Nietzsches weckt
manchesmal ein leises Lächeln der
Rührung, so sehr steht die ernste, schwere,
hingebende Verehrung Schopenhauers und
Wagners in Widerspruch mit dem späteren
Nietzsche und seiner »gaya scienza«, die
er in einem Briefe charakterisiert als
»sehr viel heiteres Glück, sehr viel
Halkyonismus«.
Einmal schreibt er an Gersdorff:
»Betone nur immer durch die That Deine
innerste Übereinstimmung mit dem Dogma
der Liebe und des Mitleidens, das ist die
feste Brücke u. s. w.«
Gegen Ende des Jahres 1875 dagegen
heißt es in einem Briefe an denselben
Freund: »Du hast die herrliche Fähigkeit
zur Mitfreude; ich meine, sie ist selbst
seltener und edler, als die des Mitleidens.«
Eine bedeutsame Stelle als Vorahnung
seiner späteren Lebens-Anschauung. Denn
noch bekennt er sich in demselben Briefe
zum Pessimismus, nur dass er nach der
indischen Überzeugung von dem Un-
werte des Lebens verlangte, »nicht ver-
quickt mit den jüdisch-christlichen Redens-
arten«.
Noch nennt er Schopenhauer und
Wagner seine Erzieher, die Griechen aber
nur die täglichen Objecte seiner Arbeit.
Aber schon im nächsten Jahre schreibt
er: »Immer mehr kommen mir die grie-
chischen Philosophen als Vorbilder der zu
erreichenden Lebensweise vor die Augen.
Ich lese die Memorabilien des Xenophon
mit dem tiefsten persönlichen Interesse.«
Zu gleicher Zeit regt sich auch schon
ein Vorgefühl des Trotzes, dessen er zur
Verharrung auf seinem Wege bedurfte.
»Um alles in der Welt keinen Schritt zur
Accommodation! Man kann den großen
Erfolg nur haben, wenn man sich selbst
treu bleibt. Ich erfahre es, welchen Ein-
fluss ich jetzt schon habe, und würde
mich selbst nicht nur, sondern viele mit
mir wachsende Menschen schädigen oder
vernichten, wenn ich schwächer und
skeptisch werden wollte.«
Leider bricht der Briefwechsel mit
Freiherrn von Gersdorff 1876 kurz vor
den Bayreuther Bühnen-Festspielen ab,
um erst sieben Jahre später wieder auf-
genommen zu werden. In diese Zwischen-
|
zeit fällt »eine lange, schwere Askese des
Geistes«, die Jahre der größten Selbst-
überwindung.
Die im gleichen Bande enthaltenen
Briefe an Frau Marie Baumgartner,
Dr. Eiser, Madame Luise O., Ober-
regierungsrath Gustav Krug, Prof. Dr. Paul
Deußen, Dr. Carl Fuchs, Freiherrn
R. von Seydlitz und Prof. Carl Knortz
enthalten nun zum Theil wohl reichlich
Mittheilungen aus jener Periode, aber mit
keinem von ihnen war Nietzsche so rück-
haltslos vertraut, um ihm tiefe Einblicke
zu gewähren in seine Kampfe und
Wandlungen.
Man hat den verdienstvollen Heraus-
gebern der Briefe vorgeworfen, dass sie
die Briefe nicht synchronistisch geordnet
haben, sondern sie nach Adressaten zu-
sammenstellten. Ich kann diesem Vorwurf
nicht zustimmen, solange nicht durch die
folgenden Bände bewiesen ist, dass eine
synchronistische Anordnung wirklich ein
lückenloses Bild der Entwicklung Nietzsches
entrollt hätte. Die gruppenweise Dar-
bietung gestattet Überblicke, auf die ich
ungern verzichten würde. Denn Inhalt,
Ton und Beziehungen sind bei Nietzsches
Briefverkehr grundverschieden, je nach
der Eigenart des Adressaten. Die für-
sorgliche, aufmunternde, freundschaftliche
Weise, in der er mit Gersdorff verkehrt
und sich ihm vertraulich mittheilt, hat
nichts gemein mit der freien, stolzen An-
erkennung der gegensätzlichen Anschau-
ungen Dr. Deußens. Die bei aller Freund-
schaftsversicherung, bei allem Muthwillen
und Humor der Darstellung doch immer
verbindlich höfliche Schreibweise an
Krug und Seydlitz findet ihren Gegensatz
in der Kampflust, die in der offenherzigen,
ernstsinnigen Wahrheitsliebe der Briefe
an Dr. Fuchs die Klinge schwirren lässt.
Und wer endlich wollte die leise, zarte
Liebes-Idylle, zu der sich die Briefe an
Madame Luise O. so anmuthig verflechten,
durchbrochen wissen durch gleich giltige
oder fremdklingende Briefe.
Eines allerdings muss bei dieser An-
ordnung, die das psychologische Interesse
vor das biographische stellt, verwundern:
dass mitten unter die Briefe Nietzsches
an Frau Baumgartner solche seiner
Schwester eingefügt sind. War man sich
|