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bewusst, dass Nietzsches Briefe ein litera-
risches Werk bedeuten, so durfte man
sich durch keine Rücksichten bestimmen
lassen, den Anforderungen dieser Auf-
fassung zuwiderzuhandeln. Es ist zu er-
warten, dass diese Briefe in einer späteren
Auflage in den Anhang verwiesen werden.
Die Briefe sind durch ein Vorwort
mit kurzen, biographischen Bemerkungen
über die Empfänger eingeleitet und durch
Anmerkungen und ein Namensregister
am Schlusse des Bandes ergänzt. Ich
glaube, es wäre leicht möglich gewesen,
diesen dreitheiligen Commentar einheit-
licher und reichlicher abzufassen. Bei
manchem Brief vermisst man die aller-
nöthigsten Erläuterungen, durch die sein
Inhalt überhaupt erst verständlich würde.
Besonders aber gilt dies von einzelnen
Briefstellen. Zum Beispiel: »Dank für die
allerschmeichelhafteste Etymologie! Die
Polen sagen, es bedeute Nihilist.« Handelte
es sich um eine etymologische Deutung
von Nietzsches Namen und wie lautete
diese? Manchmal hätte es wohl auch
genügt, die Anmerkungen für den Zweck
nicht ausführlicher, sondern nur bestimmter
zu fassen. »Sonnabend früh war Schluss-
sitzung bei Feustel.« Das Namensregister
des Anhangs sagt nur: »Feustel Friedrich,
Bankier.« Hier hätte schon die Bezeich-
nung Feustels als Verwaltungsrath der
Bayreuther Bühnenfestspiele genügt, um
auf die Beziehungen zu verweisen, auf die
es in diesem Falle ankommt. An anderen
Stellen allerdings würde eine Erläuterung
leicht eine weite Ausholung nöthig machen.
Im September 1871 schrieb Nietzsche
an Gersdorff: »Im Herbst werden wir uns
wiedersehen können; zwar schwerlich in
Mannheim, denn Wagner ist jetzt in
voller schaffender Thätigkeit und deshalb
wohl nur mit großer Mühe zu solchen
zerstreuenden Öffentlichkeiten zu bewegen.«
In einem Briefe vom 14. December heißt
es: »Nach Mannheim kann ich — leider!
leider! — nicht reisen, denn das Amt
des Schreibers in der Regenz und eine
längere Krankheit des Professor Gerlach
verhindern mich, Urlaub zu nehmen.«
Aber schon neun Tage später berichtet
er von seiner Rückfahrt aus Mannheim.
»Denn ich war in Mannheim. Und ich
kann Dir sagen: unsere größten Ahnungen
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über das Wesen der Musik bestätigten
sich in überschwenglichem Maße! Das
habe ich in Mannheim erfahren. Ich kenne
keine höheren und erhabeneren Zustände,
als die dort erlebten, und ich bin glücklich,
mich aus zahlreichen Fesseln und Zurück-
haltungen für diese Tage herausgerissen
zu haben.«
Es handelte sich — was aus den
Anmerkungen ebensowenig wie aus den
Briefen selbst zu ersehen ist — um ein
Concert des Mannheimer Wagnervereines
unter persönlicher Leitung des Meisters
zum Besten Bayreuths, ferner um die
erstmalige Aufführung des Siegfried-Idylls
in einem Kreise eingeladener Freunde.
Wagner hatte anfangs keine bestimmte
Zusage gegeben, da er, nach vielen
äußeren Anstrengungen, eben erst dazu
kam, sich für seine Arbeit zu sammeln,
sich aber dann doch entschlossen, »so
eine Art von Concert zu dirigieren«.
Nietzsche war zu demselben gemeinsam
mit Frau Wagner gereist, welche aus
Triebschen kam. Noch einmal finden wir
in einem Briefe vom 9. September 1888
an Dr. Carl Fuchs Worte Nietzsches, die
sich auf das Mannheimer Concert beziehen,
nur dass diesmal Nietzsche die Erinne-
rung an die »Überlebendigkeit« der Auf-
führung der »Zauberflöten«-Ouvertüre in
diesem Concert als eine Art von »Ber-
ninismus« gilt, eine Bezeichnung, die
Nietzsche übrigens schon elf Jahre früher
gegen Wagner gebrauchte, als er im
Juli 1877 an Dr. Carl Fuchs über die
Rhythmik Wagners schrieb: »Mitunter
— aber es ist vielleicht crimen laesae
majestatis — fällt mir die Manier Ber-
ninis ein, der auch die Säule nicht mehr
einfach erträgt, sondern sie von unten bis
oben durch Voluten — wie er glaubt —
lebendig macht. Unter den gefährlichen
Nachwirkungen Wagners scheint mir »das
Lebendig-machen-wollen um jeden Preis«
eine der gefährlichsten, denn blitzschnell
wird’s Manier, Handgriff.«
Wohl ist von den Herausgebern darauf
hingewiesen, dass über die Beziehungen
Nietzsches zu den Adressaten zum Theil
Frau Förster-Nietzsches Biographie, dieses
nicht hoch genug zu schätzende Werk
schwesterlicher Liebe und Einsicht, Aus-
kunft gibt, wohl sind noch andere Bücher
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