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Wiener Rundschau: Jg. 5, Nr. 5, S. 99

Text

RIMBAUD: SCHLECHTES BLUT.

ist gewiss, ist Orakel, was ich sage.
Ich begreife, und weil ich nicht weiß,
wie mich ohne heidnische Worte aus-
drücken, möchte ich schweigen.

Das heidnische Blut kommt zurück!
Der Geist ist nah’; warum hilft mir
Christus nicht, indem er meiner Seele
Stolz und Freiheit gibt. Ach! das
Evangelium ist vorbei! Das Evangelium!
Das Evangelium!

Ich erwarte Gott mit Genuss. Ich
bin inferiore Rasse von Ewigkeit.

Da bin ich auf dem armorikanischen*
Strand. Dass die Städte sich entzünden
im Abend. Mein Tagwerk ist gethan;
ich verlasse Europa. Die Seeluft wird
meine Lungen verbrennen, die ver-
lorenen Klimate werden mich plagen.
Schwimmen, das Gras zerstampfen,
jagen, vor allem rauchen, Liqueure
trinken, so stark wie kochendes Metall,
— wie es die theuren Vorfahren
am Feuer machten.

Ich werde zurückkommen mit
Gliedern von Eisen, die Haut dunkel,
das Auge rasend; auf meine Maske hin
wird man mich als von einer starken
Rasse kommend halten. Ich werde
Gold haben; ich werde faul sein und
brutal. Die Weiber sorgen für diese
wilden Siechlinge, die zurück sind aus
den heißen Ländern. Ich werde mich
in politische Affairen mischen. Gerettet.

Jetzt bin ich verhasst, ich habe
Abscheu vor dem Vaterland. Das Beste
ist ein ordentlich betrunkener Schlaf
im Sand.

Man reist nicht ab. — Nehmen wir
wieder den heimischen Weg auf,
beladen mit meinem Laster, dem Laster,
das seine Leidenswurzeln neben mir
geschlagen hat seit dem Alter der
Verständigkeit — das zum Himmel
steigt, mich schlägt, mich zerstört,
mich mit sich schleppt.

Die letzte Unschuld und die letzte
Furchtsamkeit. Abgemacht. Meinen
Ekel und meinen Verrath nicht in die
Welt tragen.

Allons! Die Reise, die Last, die
Wüste, der Trübsinn und der Zorn.

Vor wem mich loben? Welches Vieh
soll man anbeten? Welches heilige Bild
angreifen? Welches Herz brech’ ich?
Welche Lüge soll ich sagen? — In
welchem Blute waten?

Lieber sich vor der Gerechtigkeit
inacht nehmen. — Das Leben dauert,
— einfache, viehische Dummheit, —
mit verkümmerter Faust den Deckel
des Sarges aufheben, sich hinsetzen,
ersticken. Auf diese Weise kein Alter,
keine Gefahren; der Schrecken ist
keineswegs französisch.

Ah! Ich bin so verlassen, dass ich
gleichgiltig welchem göttlichen Bild
Anstrengungen zur Vollendung anbiete.

O, meine Entsagung, o, meine
wunderbare Barmherzigkeit! Hier unten,
immerhin!

De profudis Domine; bin ich dumm!

Noch ganz Kind, bewunderte ich
den störrischen Galeerensclaven, über
dem sich der Bagno immer schließt;
ich besuchte die Herbergen und die
Wohnungen, die er durch seinen Auf-
enthalt geheiligt; ich sah mit seiner
Idee
den blauen Himmel und die
blumige Arbeit in den Feldern; ich
witterte sein Verhängnis in den Städten.
Er hatte mehr Kraft als ein Heiliger,
mehr richtiges Urtheil als ein Reisender
— und er, er allein! als Zeuge seines
Ruhmes und Verstandes.

Auf den Straßen, in den Winter-
nächten, ohne Nachtlager, ohne Kleider,
ohne Brot, ward mein erfrorenes Herz
von einer Stimme zusammengeschnürt:
»Schwäche oder Kraft: Du da, du bist
die Kraft! Du weißt nicht, wohin du
gehst, noch, warum du gehst; tritt
überall ein, antworte auf alles. Man
wird dich nicht noch mehr tödten,
wie wenn du bereits ein Leichnam
wärst.« Am Morgen hatte ich einen
so verlorenen Blick und eine so todte
Fassung, dass Die, die mir begegneten,
mich vielleicht nicht gesehen
haben
.

In den Städten erschien mir der
Schmutz plötzlich roth und schwarz,
wie ein Spiegel, wenn die Lampe im

*Alte Bezeichnung für die Bretagne (Armorika).

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 5, Nr. 5, S. 99, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-05-05_n0099.html)