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Wiener Rundschau: Jg. 5, Nr. 5, S. 114

Text

RUNDSCHAU.

liche allein zu beschränken. Dieser Riesen-
aufgabe unterzieht sich der Autor der vor-
liegenden Schrift mit Selbstvertrauen.

Wir erfahren zunächst, dass Wagner
keine Nationalgröße ist, wie Goethe, Bach
oder — Bismarck, und den bekannten
Eichenlaubkranz nicht mit vollem Rechte
auf dem olympischen Haupte trägt. Dann
lernen wir die seltsame Beschaffenheit der
Wagner’schen Helden kennen, deren
Activität durch die ewige Reflexion unter-
bunden ist — und die visionäre Passivität
seiner Heldinnen, die uns an das Hyp-
notische der Ibsen’schen Frauengestalten
erinnert. Das Kranke, Ungesunde und
»Unterschwürige« der Wagner’schen Musik
wird in das richtige Licht gerückt und
aus den sichtbaren Folgen einer pessi-
mistischen Grund-Ansicht die einzige mög-
liche Consequenz gezogen. Am Schlusse
wird uns die wohlfeile Paradoxie Nietzsches
vom Schauspieler Wagner fettgedruckt
vor Augen geführt, und dieses Leitmotiv
contrapunktiert gegen den herben Klage-
gesang des Einsiedlers vom Berge.

Über den relativen Wert der heroischen
und der asketischen Weltbetrachtung kann
man verschiedener Ansicht sein; wie ein
Musikpsychologe sich die Weiter-Ent-
wicklung seiner Kunst unter dem Einflusse
einer naiven Grund-Ansicht vorstellt,
bleibt dem erkenntnis-theoretisch Ge-
schulten aber jedenfalls ein Räthsel. Was
hierüber noch weiter zu sagen ist, hat
Wagner in seiner grandiosen Beethoven-
Studie in stricter Anlehnung an Kant
zu Ende gedacht.

Indem der Autor das rein Musikalische
aus dem Kreise seiner Betrachtungen aus-
schließt, ist der Recension die Möglichkeit
entzogen, von diesem Standpunkte aus
zu argumentieren. Es wäre sonst möglich,
zu zeigen, dass die Tonwelt Wagners ein
Bewusstsein voraussetzt, das tief in die
gegebene Erscheinungswelt sich lange
versenkt hat; und wie er nur das Phä-
nomenale leidverstrickt gefunden hat,
jenseits unserer Anschauungsformen aber
das transcendental Vollkommene
des Urwesens: Alberich und die Rhein-
töchter. — Wie sich solche Dinge im
Rahmen einer kurzen Besprechung nicht
unabweisbar klarlegen lassen, so können

sie auch in leicht flatternden »Causerien«
nicht erschöpft werden. Überwindung
des psychologischen Impressionis-
mus
in der Kritik und Einführung der
naturwissenschaftlichen Methode der mo-
dernen Erkenntnistheorie fordern wir heute
mit Recht. o. b.

RUYSBROEK. Die Werke des be-
kannten Mystikers Johannes van
Ruysbroek
— der 1293 bis 1381 lebte
und als Doctor ecstaticus bekannt war —
sollen ins Deutsche übersetzt werden.

Ruysbroeks praktische Mystik war von
solchem Erfolge begleitet, dass ihm von
der Kirche die Seligsprechung zutheil
wurde. Er wäre sogar heilig gesprochen
worden, wenn nicht kurzsichtiges Missver-
ständnis oder absichtliche Intrigue des
Kanzlers Gerson in seinen Schriften gewisse
Lehren gefunden hätte, die dem damaligen
Dogma zuwiderliefen.

Die Übersetzung ist nach dem Urtheile
competenter Kritiker mustergiltig und mit
eingehender Sachkenntnis geschrieben.

Da Ruysbroek in seinem Werke »Die
Zierde der geistlichen Hochzeit« nicht wie
viele Visionäre problematische Verzückungs-
Zustände schildert, sondern seine selbst
erlebten Zustände, wie sie der Fortschritt
des Mystikers mit sich bringt, wiedergibt
— da er ferner auch Mittel und Wege
angibt, die der praktische Mystiker gehen
soll, und dabei auf die Abwege hinweist,
denen der unerfahrene Jünger ausgesetzt
ist — so ist die Anschaffung des Buches
für jeden Occultisten ungemein empfehlens-
wert. Das Werk Ruysbroeks (das von
Maeterlinck ins Französische übersetzt
ist und bereits mehrere Auflagen erlebt
hat) ist ein Hilfsmittel, das nicht nur
Anregung, sondern noch vielmehr praktische
Vortheile gewähren wird. Seines besonderen
Inhaltes wegen soll das Werk nicht in
alle Hände kommen und nur wirklichen
Interessenten zur Verfügung gestellt werden.
Von der Größe der Betheiligung am
Abonnement hängt es ab, ob es möglich
sein wird, die Druckkosten zu bestreiten.
Voraussichtlich kostet das Werk 4 bis
5 Mark. Bestellungen werden auch in der
Administration der »Wiener Rundschau«
entgegengenommen.


Verantwortlicher Redactuer: R. Dworschak. — K. k. Hoftheater-Druckerei, Wien, I., Wollzeile 17. (Verantwortl. A. Rimrich.)

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 5, Nr. 5, S. 114, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-05-05_n0114.html)