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BURGTHEATER: DER FUCHS.
Ein Schauspiel in 1 Act von Jules RENARD,
übersetzt von Hugo v. HOFMANNSTHAL.
Ich habe das Stück in Paris bei Antoine
und jetzt hier gesehen. Im Burgtheater
spielt man es trotz bester Besetzung zu
deutsch und — wie so oft in diesem
Theater — zu sehr fürs Publicum. Diese
kleine Dichtung ist sehr Spiel, sehr Bühne
und soll sich gleichsam von selbst spielen,
wenn man so sagen darf. Es gibt Dinge,
die sich darstellen, ohne dass jemand zu-
sieht: Dahin soll uns das moderne Theater
führen. Wir sind aber noch weit davon.
Der gewöhnliche Theaterbesucher will
immer, dass alles auf der Bühne ihn zuerst
überrascht und dann ihm zu seiner und
seines Amtes Beruhigung — wie jemand
hinter mir sagte — plausibel erscheint.
Dieses Stück aber will, dass der Zuschauer
es überrascht und es ihm am Ende erst
recht merkwürdig erscheint. Es will nicht
beruhigen, sondern ein wenig stören. Man
will immer, wie die Formel lautet, zuerst
Charaktere und dann eine Handlung, die
aus diesen sich nothwendig entwickelt. Das
ist sehr schön, aber das Leben ist oft ganz
anders. Die Menschen haben oft noch
gar keinen Charakter, wenn das Spiel mit
ihnen beginnt, nur da und dort Eigen-
schaften und Erlebnisse gleichsam zerstreut
herumliegen, oder sie sind zu furchtsam,
um Charakter zu haben und umschreiben
sich immerfort, um sich ja nur nicht zu
nennen, und da will es ein Zufall — es
gibt in diesem Falle nichts Nothwendigeres
als einen Zufall — dass sie sich an irgend-
etwas finden, nennen, dass sie zu sich und
ihrem Muth kommen, Charakter haben
und, wenn man wollte, eine recht plausible
Handlung entrieren könnten. Es gibt Men-
schen, die als Charaktere geboren werden,
es gibt andere, die erst als solche sterben.
Goethe sagt einmal: das Wesentliche eines
Dramas sei die Erkennung. Die Menschen
handeln, bis sie sich erkannt haben. Man
kann das umkehren und sagen: Viele
Menschen handeln nicht, weil sie sich bis-
her verkannt haben, z. B.: Poil de Carotte
und Mr. Lepic. Man spielte es, sagte ich,
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im Burgtheater zu deutsch, d. h. in diesem
Falle voreingenommen, aus einem Charakter
heraus statt einem Charakter zu, mit zu
viel Farbe und zu wenig Linie. Das ganze
ist kein Ölbild, sondern ein Pastell. Poil
de Carotte räsonniert sehr viel, das stört
uns; wir verlangen »Natürlichkeit« bei
einem Fünfzehnjährigen, sonst heißt er
altklug. Poil de Carotte ist aber Franzose
und ist eine Art ingénu, das heißt ein
naiver Räsonneur, ein unnatürlich Natür-
licher. Mr. Lepic war in der Darstellung
zu sehr sentimental. Ein Franzose fasst
das Familienleben viel praktischer auf,
und Antoine gab seinem Lepic sehr
viel Humor, schon gleich am Anfang.
Mme. Lepic war in der Darstellung des
Burgtheaters unmöglich.
RUDOLF KASSNER.
STEFAN GROSSMANN: »DIE
TREUE«. (Novellen, Wiener Verlag.)
Der Verfasser beobachtet sehr scharf,
scheinbar nicht über die Novelle hinaus,
die er gerade schreiben will, er schreibt
sehr gut, ohne über seine Worte hinaus
viel sagen zu wollen, er hat Ironie, wenn
er sie auch nicht weiter anwendet, als seine
These gerade reicht. Er ist jedenfalls höchst
»talentiert«. Das ist gerade kein Unglück,
wenn auch kein großes Glück und hindert
nicht, dass die Skizze: »Die Wunder
des Lebens« sehr gut, eine andere
»Die Treue« dies weniger ist, und dass
die außerordentlich feine Anlage einer
dritten: »Die Reise« nicht vollständig
durchgeführt wurde. r. k.
MAX GRAF: »WAGNER-PRO-
BLEME UND ANDERE STUDIEN«.
(Wiener Verlag. Wien, 1900.)
Es wird immer eine schwierige Auf-
gabe bleiben, die exacte Analyse eines
musikalischen Kunstwerkes ohne thema-
tische Illustrationen zu entwickeln; ein
geradezu unmögliches Problem aber ist
es, dem Lebenswerke Wagners gerecht
zu werden und sich hiebei auf das Text-
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