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genuss auch die Suggestion eine Rolle
spielt, dass ein Geschlecht dem andern
zwar gibt, aber auch von ihm nimmt,
dass magnetische Wechselbeziehungen und
-Ströme in Wirkung treten, dass unter
Umständen die Quelle alles menschlichen
Daseins, die magnetische Kraft, eine Neu-
belebung erfahren kann. Aber freilich ist
zu alledem nicht der auf der anderen
Seite lebenszerrüttend wirkende physische
Liebesgenuss nothwendig — vielleicht ist
sogar der nicht-physische, gerade weil
er nie die körperliche Erfüllung findet,
der viel wirksamere nach der angedeuteten
Richtung.*
Wir kommen also immer wieder darauf
zurück, dass die geistige Schaffenskraft
die Beschränkung der Bethätigung der
körperlichen Schaffenskraft bedingt. Wohl-
verstanden der Bethätigung. Die physische
Schaffenskraft selbst muss vorhanden sein;
ja die außerordentliche sinnliche Veran-
lagung nannten wir schon oben eine
charakteristische Eigenschaft starker, pro-
ductiver Naturen. Aber da ihr Glück und
ihre Zukunft nicht im Ehebett, sondern
in den Sternen, in der Zukunft, in dem
Schoße künftiger Geschlechter ruht, so
haben sie die Verpflichtung, ihre Kraft
nicht in flüchtigem Sinnenrausch auszu-
geben, sondern in die Werke, die sie
schaffen, überfließen zu lassen. Sie gehören
weder sich selbst, noch diesem oder jenem
Weibe, sondern der Menschheit. »Ein
Kind von Goethe« hat immer etwas Lächer-
liches; man erwartet von einem Genie
Kinder der Muse. Und kein Weib dürfte
verwegen genug sein, ihren Platz da ein-
zunehmen, wohin die Menschheit gehört.
Für den productiven Künstler kann das
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Weib im besten Falle nur eine Freundin
sein
Eine andere Frage ist, ob alle
Menschen sich in dem Genusse der phy-
sischen Liebe Beschränkungen auferlegen
sollten, um sich ethischen und geistigen
Aufgaben besser widmen zu können. Wer
in der Masse der Menschen nur eine
Herde sieht, wird diese Frage unbedingt
verneinen. Wer Individuen in ihr sieht,
deren Veredlung die Aufgabe der Zukunft
ist, wird diese Frage ebenso unbedingt
bejahen. Es sind schon viele Dinge im
Himmel und auf Erden möglich geworden,
von denen man sich nichts hat träumen
lassen
Jedenfalls ist es die Keuschheit, welche
den Menschen feinfühlig, sensibel, em-
pfindsam und empfindungsfähig macht,
welche ihn verinnerlicht, welche sein
Empfinden delicat macht, welche, kurz
gesagt, Maeterlinck-Naturen schafft, während
der gewohnheitsmäßige Geschlechtsgenuss
den Menschen veräußerlicht, verflacht,
brutalisiert, abstumpft, empfindungsunfähig
und cynisch macht, — nur dass es bei
dem Einen der physischen Anlage nach
schneller geht als bei dem Anderen. Und
unsere Zeit hat die Keuschheit doppelt
nöthig, weil sie nicht nur direct hinter
der Zeit steht, welche dem physischen
Geschlechtsgenuss gewissermaßen Altäre
baute, sondern weil die Menschheit heute
vor der gewerbsmäßigen physischen Liebe
bis ins innerste Lebensmark vergiftet ist
— nicht nur moralisch, nicht nur physisch,
sondern auch geistig. Und nicht nur
moralisch, nicht nur physisch, sondern
auch geistig ist die Keuschheit allein
imstande, den Menschen zu regenerieren.
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