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Pharitasiekraft wir auf dem sexuellen Ge-
biete verausgaben, wir für das geistige
Gebiet verlieren, dass wir, je mehr wir
dort sparen, hier gewinnen. Es ist möglich,
und die meisten Menschen thun es sogar,
unsere ganze Empfindungsstärke und
Empfindungsmöglichkeit auf geschlecht-
lichem Gebiete ausstrahlen zu lassen,
unsere ganze Kraft der Phantasie für das
sexuelle Gebiet zu verwerten. Es ist aber
ebensogut möglich, und die großen Genies
haben es stets gethan, instinctiv oder in
selteneren Fällen auch bewusst, alle unsere
Empfindungsmöglichkeiten und die ganze
Hitze und Kraft der Phantasie auf geistigem
Gebiete ausleben zu lassen.
Betrachten wir nunmehr die physio-
logische Seite der Frage. Diese wird uns
von ausschlaggebender Bedeutung sein,
weil sie ein Irren und Fehlgehen so gut
wie ausschließt und nicht mit Möglich-
keiten, sondern mit Thatsachen rechnet.
Es darf als bekannt vorausgesetzt
werden, dass der Zeugungsstoff des Mannes
aus dem Blute produciert wird. Ebenso
bekannt ist eigentlich, aber weit weniger
beachtet, dass derselbe von den feinen
Adern wieder eingesogen und ins Blut
zurückgeführt wird. Aus diesen That-
sachen haben schon Sömmering, Hofrath
Dr. Faust und Hufeland den Muth gehabt,
Consequenzen zu ziehen. Eine Ahnung
davon haben schon die Ärzte und Philo-
sophen des Alterthums gehabt. Galenus
sagt: »Schon die Wollust an sich selbst
schwächt die Lebenskräfte«; er wusste
auch schon, dass die Säfte sich von dem
zurückbehaltenen Zeugungsstoff bereichern.
Demokritos hielt den Act für eine Art
der fallenden Sucht.
Der bis heute berühmte und aner-
kannte Wiener Anatomiker Sömmering
hat wohl zuerst die ganze Sache klar er-
kannt. Er schrieb: »Bedenkt man ferner,
dass es wohl völlig gewiss ist, dass von
dem doch größtentheils zur Befruchtung
bestimmten männlichen Zeugungsstoff
Theilchen wieder eingesaugt werden
so wird man auf die Idee geleitet, der
Resorption desjenigen subtilen Fluidi,
welches den Nerven durch die ihnen
eigenen Arterien unaufhörlich zugeführt
und in gesundem Zustande von diesen
edlen Theilchen ebenso unaufhörlich durch
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die Saugadern ins Blut zurückgeleitet
wird, einen weiteren und höheren Zweck
beizumessen, als nur, um möglichst bald
aus dem Körper als ein Fluidum excremen-
titium weggeschafft zu werden.«
Noch unzweideutiger drückt sich Hufe-
land, der berühmte Verfasser der welt-
bekannten »Makrobiotik«, aus:
»Es scheint, dass die Seelen-
organe und Zeugungsorgane, sowie
die beiden Verrichtungen des Den-
kens und der Zeugung sehr genau
mit einander verbunden sind und
beide den veredeltsten und subli-
miertesten Theil der Lebenskraft
verbrauchen.
Durchgehends finden wir in der
alten Welt, dass alle Diejenigen,
von denen man etwas Außerordent-
liches und Ausgezeichnetes erwar-
tete, sich der physischen Liebe ent-
halten mussten.
Ich kann nicht oft genug daran
erinnern, dass die Zeugungssäfte am
meisten zur Wiedereinsaugung ins
Blut und zu unserer eigenen Stär-
kung bestimmt sind.«
Dass also in der That geistige und
körperliche Schaffenskraft nicht nur eng
zusammenhängen, sondern dass auch eine
ausschweifende Bethätigung der einen der
anderen zum Nachtheile gereicht — jedem
Menschen steht es frei, zu wählen —
dürfte darnach zur Genüge dargethan
sein. Zu erklären ist aber noch die auf
der anderen Seite ebenso feststehende
Thatsache, dass ein vorübergehend aus-
schweifender Geschlechtsgenuss außer-
ordentlich belebend auf die geistige Pro-
duction wirkt. Voraussetzung allerdings
hierfür ist, dass der Geschlechtsgenuss
nicht bis zur Erschöpfung getrieben wird,
dass vielmehr immer noch genügender
Rückstand an Zeugungsstoff bleibt. In
diesem Falle bildet der Geschlechtsgenuss
erstens einmal eine Art physischer Er-
leichterung und andererseits einen Nerven-
reiz, der zwar für die Gesundheit nicht
zuträglich sein mag, der aber schließlich
doch für den Augenblick eine Willens-
belebung und eine Phantasiebelebung zur
Folge hat. Außerdem darf nicht ver-
gessen werden, dass beim Geschlechts-
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