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Selbstgestaltung des Lebens, die Moral
der selbstlosen, eifrigen Arbeit und was
ebensoviel wert ist, wie diese: Ar-
beiterinnen lehren den Geschmack an
der etwas unklaren Süße der Muße,
sie unterstreichen mit ihren tausend
kleinen Flügeln wie mit Feuerzeichen
die fast unstoffliche Wonne jener jung-
fräulichen Tage, die in ewig gleicher
Reinheit und Klarheit wiederkehren,
ohne Erinnerungen zu hinterlassen,
wie ein zu reines Glück.
V.
Um die Geschichte des Bienen-
staates im Kreislauf des Jahres so ein-
fach wie möglich zu erzählen, beginnen
wir mit dem Erwachen im Lenz und
dem Wiederbeginn der Arbeit, und wir
werden die Hauptstadien des Bienen-
lebens in ihrer natürlichen Reihenfolge
einander ablösen sehen: das Schwärmen
und was ihm vorangeht, die Gründung
der neuen Stadt, Geburt, Kämpfe und
Hochzeitsausflug der jungen Königinnen,
die Drohnenschlacht und die Wieder-
kehr des Winterschlafes. Jede dieser
Episoden erfordert die nöthigen Er-
klärungen der Gesetze, Eigenthümlich-
keiten, Gewohnheiten und Ereignisse,
die sie verursachen oder sie begleiten,
so dass wir am Ende des Bienenjahres,
das vom April bis Ende September
reicht, alle Geheimnisse des Honig-
staates kennen werden. Vorderhand,
ehe ich einen Bienenstock öffne, um
einen allgemeinen Blick darauf zu
werfen, mag es genügen, zu wissen,
dass er sich aus einer Königin, der
Mutter des ganzen Volkes, vielen
tausend Arbeitsbienen, das heißt unent-
wickelten und unfruchtbaren Weibchen,
und einigen Hundert männlichen Bienen
oder Drohnen zusammensetzt. Aus den
letzteren geht der einzige unglückliche
Auserwählte der künftigen Herrscherin
hervor, welche die Bienen nach dem
mehr oder minder unfreiwilligen Scheiden
der alten Königin auf den Thron er-
heben.
VI.
Wenn man zum erstenmale einen
Bienenkorb öffnet, verspürt man etwas
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von der Erregung, die Einen befällt,
wenn man etwas Unbekanntes ver-
gewaltigt, das voll von furchtbaren
Überraschungen sein kann, wie z. B.
ein Grab. Es spinnt sich um die
Bienen eine Fabel von Gefahren und
Drohungen. Man hat eine unbestimmte
Erinnerung an die Bienenstiche, die
einen zu eigenen Schmerz verursachen,
als dass man wüsste, womit man ihn ver-
gleichen soll; es ist ein trockenes, zucken-
des Brennen, eine Art Wüstensonnen-
brand, möchte man sagen, der sich bald
über den ganzen Körpertheil verbreitet.
Es ist, als ob diese Sonnenkinder aus den
glühendsten Strahlen ihrer Mutter ein
leuchtendes Gift gesogen hätten, um die
Schätze der Süßigkeit, die sie in ihren
segenspendenden Stunden sammeln,
desto wirksamer zu vertheidigen.
Freilich, wird ein Bienenstock ohne
Vorsichtsmaßregeln geöffnet, von Einem,
der weder Charakter noch Sitten seiner
Bewohner kennt und achtet, so ver-
wandelt er sich im Nu in einen feu-
rigen Busch von Zorn und Helden-
muth. Aber es lernt sich nichts leichter,
als das bisschen Geschicklichkeit, das
erforderlich ist, um ihn ungestraft zu
vergewaltigen. Es genügt etwas Rauch,
den man von Zeit zu Zeit hineinbläst,
etwas Kaltblütigkeit und Sanftheit und
die wohlbewehrten Arbeiterinnen lassen
sich ausplündern, ohne daran zu denken,
ihren Stachel zu zücken. Sie erkennen
ihren Herrn nicht, wie behauptet worden
ist, sie fürchten den Menschen nicht,
aber wenn sie den Rauch riechen und
die ruhigen Bewegungen in ihrer
Wohnung sehen, so bilden sie sich
ein, dass es sich nicht um einen An-
griff oder einen Feind handelt, gegen
den sie sich vertheidigen können,
sondern um eine Naturkraft oder
Katastrophe, in die sie sich fügen
müssen. Statt einen fruchtlosen Kampf
zu wagen, wollen sie in ihrer, diesmal
getäuschten Klugheit wenigstens die
Zukunft retten: sie stürzen sich auf
die Honigvorräthe, um möglichst viel
davon zu retten und wo anders, gleich-
giltig wo, aber sofort, eine neue Stadt
zu gründen, wenn die alte zerstört ist
oder sie gezwungen sind, sie aufzugeben.
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