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drucksträger zumuthen. An dieser Unfähig-
keit, die Evolution des Materials zu be-
greifen, sind selbst Geister vom Range
des Marées gescheitert.
Johannes Kepler. Wie man uns
berichtet, wird die deutsche Übersetzung
von Keplers natur-philosophischem Haupt-
werk: »Harmonia mundi« soeben für den
Druck vorbereitet. Dieses vor nunmehr drei-
hundert Jahren veröffentlichte Werk ist die
reifste Arbeit des großen, mystischen Natur-
forschers, welcher der letzte Pythagoräer
war. Es enthält nicht bloß die Summe aller
von ihm schöpferisch entdeckten Gesetze aus
dem Gebiete der exacten Wissenschaften,
sondern auch die tiefsinnigsten Specu-
lationen über das Weltganze als geordnetes
System aller physischen und moralischen
Kräfte. — Plato-Studien hatten Kepler
auf die Bedeutung der harmonischen
Regelmäßigkeit gewisser geometrischer
und musikalischer Beziehungen hingelenkt.
Von diesem Augenblicke wurde ihm die
Entdeckung der harmonischen Verhältnisse
in der physischen Welt möglich. Die logische
Weiterführung war der Ausbau der pytha-
goräischen Sphären-Harmonie, die specielle
Untersuchung der musikalischen Gestal-
tung des Welten-Aspectes. Das berühmte
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III. Buch der »Harmonia« enthält seine merk-
würdigen Versuche über die Ergründung
der Sphären-Harmonie, die unter anderem
die vollständig notierte Aufzeichnung der
Planeten-Gesänge und Harmonien ent-
halten. Diese im Laufe des III. Buches
niedergelegten Ansichten über das Wesen
der Musik, in denen das pythagoräische
und neuplatonische Element vorwaltet,
sind auch für den Musik-Ästhetiker, sowie
besonders für den Musik-Historiker von
höchstem Interesse, indem sie gleichzeitig
auf den Stand der Musik-Psychologie des
XVI. Jahrhunderts Licht werfen. Der
Schwerpunkt dieser kolossal angelegten
Studie liegt in der Einführung des Har-
monischen als gestaltenden Welt-Princips,
von welchem Standpunkte aus Kepler
dahingebracht wird, der von ihm ent-
deckten, eigentlich seinen Ruhm verkün-
denden Excentricität ideologische Func-
tion zu unterlegen. — Das letzte Buch
ist die Auseinandersetzung Keplers mit
der Natur-Philosophie in der Art und
Sprache des Bruno. Das Verständnis zu
erleichtern, soll übrigens ein Commentar
die neuen Forschungen der mathemati-
schen Physik und Musik-Ästhetik zum
Vergleiche heranziehen und eine voraus-
geschickte Einleitung auf das Wesen der
platonischen Naturauffassung vorbereiten.
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