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Lothar v. Kunowski: Gesetz, Frei-
heit und Sittlichkeit des künstlerischen
Schaffens (Diederichs). — Diese wenig
einheitlich gefasste Reihe nicht aus-
gereifter Studien untersucht die Ur-
sachen des Tiefstandes der heutigen
Malerei und will sie hauptsächlich im
Mangel einer einheitlichen und syste-
matischen Ausbildung der producierenden
Kräfte finden. Der Autor tritt gegen die
herrschende Subjectivität auf und verlangt
Unterscheidung zwischen der Wahrneh-
mung (Erscheinung) und ihren Daten.
Hiedurch zum Typischen, als dem angeb-
lichen Äquivalent des Begriffes, gelangend,
dessen Erfassung als Basis einer Kunst
im Sinne der Älteren hingestellt wird,
könne man eine gewisse Analogie mit
der Methode der Wissenschaft finden. —
Dass das Verhältnis zwischen Kunst und
Wissen das Grundproblem der Ästhetik
der Zukunft sein werde, scheint also nach-
gerade allgemeiner bekannt geworden zu
sein. Das vorliegende Buch deutet darauf
hin. Gegenüber dem ganz ahnungslosen Ge-
rede der Bisherigen ist es immerhin beach-
tenswert, wenn es auch mehr Vermuthungen
als Erkenntnisse enthält. Die Stimmen dieser
Art erscheinen erfahrungsgemäß immer
vor geistigen Umwälzungen, vorbereitend
und einleitend. Das Schicksal solcher
Propheten ist es dann manchmal, das
Eintreffen des Angekündigten zu über-
sehen. — Der Autor lehnt sich an Lionardo,
ohne doch tiefer in ihn eingedrungen
zu sein. Sonst wären Missverständnisse
wie seine Identificierung des künstlerischen
mit dem Denkprocess nicht gut möglich.
Es ist vielmehr das Umgekehrte der Fall.
Die Voraussetzungen der Kunst sind die
Resultate des Wissens, und umgekehrt:
die Objectivierung des Gesetzes in der
Materie ist das Wesen der ersteren, während
das letztere die entgegengesetzten Ziele
hat. Die eine geht vom Mittelpunkt
zur Peripherie, das letztere führt zu ihm
zurück; beide sind also radial und setzen
daher das Genie voraus: die Intellectuellen
können stets nur tangential empfinden und
denken. Lionardo war zunächst Mathe-
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matiker, und eben das erklärt seine
Kunst; während die Mittelmäßigen nie-
mals das Exacte in der »Phantasie« be-
greifen können und ihre Willkür dort
wiederfinden zu können glauben. — Das
vom Autor empfohlene Studium der
»Meister« und ihrer Formen kann hier
so wenig productionsfördernd wirken als
in der Wissenschaft. »Allerdings,« sagt
Jean Paul, »kann man Newtons Principien
»lernen«, d. h. die erfundenen wieder-
holen, wie man Gedichte auswendig lernt;
diese kann man freilich nicht erfinden lernen,
sowenig als Newtons Principien«. Die Menge
der Berufsmaler sollte sich zur Kunst ver-
halten wie die Gelehrten zur Wissen-
schaft, d. h. nicht producierend, sondern
tradierend, die Formen und Schemata
aufbewahrend. Dass sie dies nicht thun,
sondern, von ästhetisierenden Schönrednern
darin noch aufgemuntert, sich allen Ernstes
für »Künstler« halten, ist eben die Ur-
sache der heutigen Begriffsverwirrungen.
Hieraus entspringt auch der sonderbare
Wahn, als könnte man Formen perpe-
tuieren, den auch Kunowski theilt. Welchen
Zweck hätte wohl heute eine Blüteperiode
der Malerei, wie er sie zu wünschen
scheint? Der Sinn der alten Malerei war
ihr Wert als Decorations-Element, für die
Bauart der Renaissance und auf die Sinne
und den Geschmack der damaligen Menschen
berechnet; diese Kunstgattung ist todt
und lässt sich nicht mehr zum Leben
erwecken. An ihre Stelle sind die gra-
phischen Künste, die Radierung u. a.
getreten. Ölbilder werden schon heute nicht
mehr gekauft, abgesehen von Museen oder
Gallerien; und bezüglich der »Ausstel-
lungen« hat man es lediglich mit künstlich
von gewissen Interessentengruppen ge-
züchteten Bedürfnissen zu thun, deren
Unterdrückung eine organische Kunstent-
wicklung erst ermöglichen könnte. Die
Intensität der Eindrucksfähigkeit steht eben
in bestimmtem Verhältnis zur Qualität des
Darstellungsmittels; man kann einem nach-
kantischen Zeitalter nicht mehr den Ver-
zicht früherer Generationen auf die Kritik
der Möglichkeiten und Grenzen der Aus-
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