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Energismus (die substantielle Wesen-
heit des absolut ruhenden Weltraumes)
von Prof. J. Schlesinger. 1901. — Es hat
nie an tiefer blickenden Naturforschern
gefehlt, die bereit waren, ihr Denken
und Wissen in den Dienst der trans-
cendentalen oder — wie es heute heißt —
occulten Forschung zu stellen. Wir ver-
danken dem naturwissenschaftlichen Blick
dieser Männer theilweise genauere, zahlen-
mäßig feststellbare Beziehungen merk-
würdiger, den Grenzen der Naturforschung
angehöriger Erscheinungen, theilweise gran-
diose physikalische oder geometrische Con-
ceptionen. Über das vorliegende Werk des
Geodäten Schlesinger lässt sich nicht viel
Prägnantes aussagen. Es ist ein bis ins
Kleinste fortgeführter Versuch, dem Raum
seine reine formal-erkenntnistheoretische
Bedeutung abzuerkennen und ihn zu einer
substantiellen, also offenbar wirkenden
Wesenheit zu erheben. Die Kant’sche
transcendentale Ästhetik hat im XIX. Jahr-
hundert von geometrischer und physio-
logischer Seite her manche tiefgehende
Kritik erfahren müssen, aber wohl kaum
eine so leichtfertige. Im Kampfe mit dem
Materialismus weiß sich der Autor keinen
anderen Ausweg, als den Raum selbst zu
materialisieren — denn das ist seine Sub-
stantiierung, und nichts anderes. Und da
er offenbar das Wirkende nicht anders
als materiell erfassen kann, so werden
schließlich die Kräfte selbst zu Massen-
(materiellen)-Theilchen. Mit einem solchen
Rüstzeug von substantiellen Raum- und
materiellen Kraft-Partikelchen ist es dann
freilich ein Leichtes, die arme Materie
selbst aus der Welt zu schaffen.
Es nützt nichts, dass hie und da geist-
volle und wertvolle Aphorismen mit
unterlaufen, welche die Schwäche einer
ziellosen Lexikon-Wissenschaft treffen, das
Buch ist unwissenschaftlich trotz mancher
feiner Naturbeobachtungen (Elasticitäts-
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Verhältnisse, Problem der Durchsichtigkeit,
Morphologie, Affinität), trotz der Galiläi-
schen Vortragsart, trotz der Universalität
der Grundhypothese, und zwar deshalb,
weil das Problem ein rein erkenntnis-
theoretisches ist und nicht allein auf Grund
der Naturbeobachtung gelöst werden kann,
weil der physiologische Theil der Raum-
vorstellung überhaupt nicht berührt wird,
und schließlich, weil es von wenig wissen-
schaftlichem Blick zeugt, wenn für jedes
neue Phänomen eine neue Hypothese
zurechtgeschmiedet wird. In dem Werke
gibt es nicht bloß eigene Molecule für die
Elektricität, die Wärme und den Chemis-
mus, sondern eigene Denkmolecüle, und
unter diesen wieder eigene Gemüths- und
ethische Molecule. Man wird stutzig und
fragt schließlich ganz erstaunt, weshalb
es nöthig war, gegen den Materialismus
so erbittert zu Felde zu ziehen, wenn der
Raum und alles in ihm ohnehin nichts
anderes ist als wirkende Wesenheit.
Was man am ehesten von der Arbeit
zu erwarten gehabt hat: Beschreibung und
Erklärung der heute als occult bezeichneten
Phänomene, kann nicht befriedigen. Die
Erscheinungen der Fernwirkung, der Hyp-
nose und Suggestion, der psychischen
Heilung fallen zum großen Theile in die
Sphäre der neueren, durchaus exacten Natur-
wissenschaft. Die sogenannten Grenz-
phänomene, die von den Spiritisten gerne
als geheimnisvolle Offenbarungen aus-
gerufen werden, gehören entweder der
Naturwissenschaft an oder nicht. Im
letzteren Falle hat es keinen Sinn, sich
vom naturwissenschaftlichen Standpunkte
aus mit ihnen zu beschäftigen; im ersteren
müssen sie bereits unseren Erfahrungen
und Anschauungen conform verlaufen. Es
gibt nur eine Naturwissenschaft, die des
Isaak Newton: »Non plures hypotheses
admittere deberi, quamquae et verae sint
et earum phaenomenis explicandis sufficiant.«
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