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Wiener Rundschau: Jg. 5, Nr. 15, S. 311

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RUNDSCHAU.

den sie erinnern; nur durch diese Symbolik
erscheint sie schön.

Eine Folge dieser Lotze’schen Kritik
war das Loslösen Brahms’ von der neu-
deutschen Affectsmusik. Hingegen liegt die
Schwäche der Hanslick’schen Auffassung in
der untergeordneten Stellung, die hier dem
Erhabenen zufällt. Hanslick erklärt bloß das
»Angenehme und das Schöne« und verwechselt
Rausch und pathologische Wirkung mit Ergriffen-
heit und Wirkung des Erhabenen. Aus den
Skizzenbüchern großer Meister ergibt sich ein Be-
stimmtes, Concretes als Ausgangspunkt, das All-
gemeine als Inhalt der späteren Thätigkeit Das
Formal-Schöne der »Kritik der Urtheilskraft« und
des »Musikalisch-Schönen« bedeutet Einseitig-
keit des Standpunktes. — Viel tiefer gelangt
der Musikhistoriker Ambros (»Grenzen der
Musik und Poesie« 1872), der in der als reines

Formwesen aufgefassten Musik geradezu das
Wesen der Schönheit selbst erblickt, indem
sich diese durch das Ausschließen alles stoff-
artigen Interesses dem Kant’schen Schönheits-
begriff sehr nähert.

Der Irrthum Hanslicks beruht darin, dass
er in der Welt des musikalisch Wahrnehmbaren
alles Musik-Ästhetische erschöpft zu haben
glaubte und in gänzlich unpsychologischer
Weise auf die Notwendigkeit der Deutung
des Wahrnehmbaren verzichtete. — Aus dem
Sichtbar-Bewegten auf das Hörbar-Bewegte zu
schließen —wie dies Jul. Milthaier versuchte
(Räthsel des Schönen, Leipzig. 1896)—ist wegen
des Gegensatzes in der Erregbarkeit psycho-
physisch unrichtig. Milthaler nähert sich Kant,
indem er den Schwerpunkt in das genießende
Subject verlegt, übersieht aber den Wert einer
Selbst-Projection in den Geist des Componisten.

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Nachtrag. Das in der letzten Nummer besprochene Werk von Prof. Jos. Schlesinger
ist im Verlage der Hofbuchhandlung von Carl Siegismund in Berlin erschienen.

Berichtigung: In der vorigen Nummer (14) wurde als Autor des Artikels: »Die Sonne«
irrthümlicher Weise der Name des Übersetzers (O. Bryk) angegeben.


Verantwortl. Redacteur: R. Dworschak. — K. k. Hoftheater-Druckerei, Wien, I., Wollzeile 17. (Verantwortl. A. Rimrich.)

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 5, Nr. 15, S. 311, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-05-15_n0311.html)