|
Die niedere Natur des Menschen ent-
wickelte sich unter demselben Gesetz des
Opfers, das die unteren Naturreiche be-
herrschte. Mit dem Ausströmen göttlichen
Lebens, aus dem die menschliche Monade
hervorgieng, trat aber in der Art und
Weise, in der das Gesetz des Opfers als
das Gesetz des Lebens wirkte, eine
Änderung ein. Im Menschen war der
Wille zu entwickeln, die sich selbst regende,
selbst eingeleitete Energie; darum konnte
der Zwang, der die niederen Reiche auf
dem Pfade der Evolution beherrschte, bei
ihm keine Anwendung finden, ohne das
Wachsthum dieser neuen und wesentlichen
Kraft lahmzulegen. Dem Mineral, der
Pflanze, dem Thier blieb es nicht über-
lassen, ob sie das Gesetz des Opfers als
das Gesetz des Lebens freiwillig annehmen
wollten; es wurde ihnen einfach von außen
auferlegt und es erzwang ihre Entwicklung
durch eine Nothwendigkeit, der sie nicht
entgehen konnten. Dem Menschen war
die Freiheit der Wahl vorbehalten, wie
sie für die Entwicklung einer unter-
scheidenden, selbstbewussten Intelligenz
nothwendig war, und es entstand nun die
Frage: »Wie kann dieses Geschöpf das
Recht der freien Wahl behalten und den-
noch dabei lernen, dem Gesetz des Opfers
Folge zu leisten, während es doch ein
empfindender Organismus ist, der vor dem
Schmerz zurückschreckt, dem Schmerz,
der bei der Zerstörung von empfindlichen
Formen unvermeidlich ist?«
Äonenlange, von einem immer intelli-
genter werdenden Wesen gesammelte
Erfahrung dürfte zweifellos den Menschen
schließlich zur Entdeckung geführt haben,
dass das Gesetz des Opfers das Funda-
rnentalgesetz des Lebens ist. Es wäre
nutzlos gewesen, von diesen kindlichen
|
Seelen zu verlangen, sie sollten das, was
ihnen als das Wünschenswerteste erschien,
die Dinge, von deren Besitz ihr Leben in
der Form abhieng, ohne Ersatz hin-
geben. Sie mussten langsam den Pfad
entlang geleitet werden, der sie allmählich
zu den Höhen freiwilligen Selbstopfers
hinführte. Indem die ersten Menschen
von dem hingeopferten Leben anderer
Wesen lebten, mussten sie nun auch
ihrerseits etwas opfern, das anderes Leben
erhalten sollte; sie mussten ebenso ernähren,
wie sie selbst ernährt wurden; da sie die
Früchte verzehrt hatten, die durch die
Thätigkeit der die physische Natur leiten-
den Astralwesen hervorgebracht wurden,
so waren sie gebunden, die verwendeten
Kräfte durch entsprechende Opfer wieder
zu ersetzen. Hieraus sind all die Opfer
hervorgegangen, die diesen Naturkräften
— wie sich die Wissenschaft ausdrückt
— oder diesen, die physische Ordnung
leitenden Intelligenzen, welche die Reli-
gionen stets gelehrt haben, gebracht
wurden. Da das Feuer das Dicht-Physische
rasch verzehrt, so gab es die ätherischen
Partikel des Brandopfers dem Äther rasch
wieder zurück; und die auf diese Weise
frei gewordenen astralen Partikel konnten
nun von den Astralwesen, die für die
Fruchtbarkeit der Erde und für das Wachs-
thum der Pflanzen sorgen, leicht assimi-
liert werden. So ward das Rad der Pro-
duction in Drehung gehalten, und der
Mensch lernte, dass er fortwährend der
Natur gegenüber Schulden auf sich lud,
die er ebenso beständig zurückzuzahlen
hatte. So wurde ihm das Gefühl der Ver-
pflichtung eingepflanzt und in seinem In-
tellect genährt, und die Pflicht, die er dem
Ganzen, der Nährmutter Natur schuldete,
prägte sich seinem Gedankenleben ein.
|