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Wiener Rundschau: Jg. 5, Nr. 17, S. 327

Text

WIENER
RUNDSCHAU

HERAUSGEGEBEN VON FELIX RAPPAPORT

1. SEPTEMBER 1901

V. JAHRGANG, NR. 17


MELEAGERS TOD.
(Aus Atalanta in Calydon.)
Von CHARLES ALGERNON SWINBURNE.

MELEAGER.

Wie eine Schlinge fügt
Eure Hände um mein Gesicht,
Hebt mich empor, als trügt
Ihr eines Todten Gewicht,
Denn mein Fleisch schmilzt wie Blei,
Glied um Glied meines Leibes
zerbricht.

CHOR.

O das edle Gebild!
Der Blick voll Majestät,
Im Scheiden so mild
Wie der Tag, der vergeht!
Wer ist sie, Herr, die schmerzzerrissen
am Lager steht?

MELEAGER.

Wie kam durch Gefahr,
So furchtlos geschwind,
Im flatternden Haar,
Die Wange im Wind.
Atalanta, die Reine, deren Name wie
Balsam lind?

ATALANTA.

War’ ich nie, allzu kühn,
Zu Wasser, zu Land,

In Gefahren und Müh’n,
Unbedacht, unverwandt,
Von Arkadien nordwärts geeilt, an
Calydons ungastlichen Strand!

MELEAGER.

Vor’m Geschick kein Entflieh’n!
Nicht mit Trotz, noch Bedacht
Kann sich Einer entzieh’n
Der bestimmenden Macht.
Doch ich wollte, mich träfe der Tod
im Tumult der Schlacht.

CHOR.

Nicht beim klirrenden Sprung
Des Schildes, in Kraft,
Wenn der tödtliche Schwung
Den Speer trennt vom Schaft,
Fällst du, du fällst von Drangsal und
Schrecken dahingerafft.

MELEAGER.

O, dass ich getroffen
In festlicher Schar,
In Freude und Hoffen,
Des Geschick’s nicht gewahr,
Mit Liedern auf den Lippen und mit
Rosen im Haar!

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 5, Nr. 17, S. 327, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-05-17_n0327.html)