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phique“ (Juillet 1901): Aus Gründen des
gesteigerten Ausdruckes dürfen in erster
Linie die classischen Stimmführungsgesetze
umgangen oder geradezu durchbrochen
werden. Der Autor citiert hierfür u. a.: eine
Folge von 13 parallelen Quinten bei
Alexandre Georges; den streng harmo-
nisch (weil unschön) nicht gestatteten
unvermittelten Übergang aus einer Dur-Ton-
art in die um zwei Halbtöne höher-
liegende (V. Act, »Hugenotten«, Das Auf-
steigen im lutherischen Choral). Aus
diesem Beispiele ergibt sich die Noth-
wendigkeit einer psychologischen Musik-
theorie neben der heute canonisch gelten-
den Helmholtz’schen physiologischen.
Musikstellen, die ein bestimmtes Gefühl
beschreiben, ohne greifbare, ins Bewusst-
sein fallende Hilfs-Vicariate mögen emo-
tive genannt werden (Beispiel: Das Sterben
des Fieberkranken in Schumanns »Paradies
und Peri« — ausgedrückt durch das Wieder-
holen des Sept-Accordes der Moll-Tonart
mit im Basse liegender Tonica der Parallel-
Dur-Scala). Wird das Gefühl aber associa-
tiv hervorgerufen (durch Klang-Vicariate),
so kann man von imitatorischer oder von
beschreibender Musik sprechen, je
nachdem wirkliche acustische Folgen
oder bloß optische Geschehnisse durch
Töne dargestellt werden.
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Diese drei möglichen Arten der Ge-
fühlsschilderung finden sich im Andante
der Pastoral-Symphonie, das mit
Unrecht als rein beschreibende Musik be-
zeichnet worden ist. Berühmte Beispiele
rein imitatorischer (nicht beschrei-
bender) Musikstellen sind die einleitenden
Begleitungsacte des »Erlkönig« von
Schubert, der Chopin’sche »Minutenwalzer«
(der die Idee eines im Kreise sich drehenden
Hundes wiedergibt), die Begleitung in
Schuberts »Gretchen am Spinnrade«, das
Hauptmotiv der Mendelssohn’schen Melu-
sinen-Ouvertüre. Schubert ist besonders
fruchtbar an derartigen imitatorischen
Bildern (»Forelle«, »Lindenbaum«).
Die Erscheinung der »Audition
colorée«, ist noch zu wenig gewürdigt
und untersucht worden; zwischen der
Perception der Licht- und Tonwerte
bestehen bedeutsame Analogien, für die
das physiologische Corelat zu suchen sein
dürfte in dem engen Zusammenhange,
der zwischen der Gehör-Empfindung und
dem Gleichgewichtsgefühle thatsächlich
besteht. Höchst wahrscheinlich hängt dieses
Bereich auch mit der Raum-Perception
innig zusammen. Die moderne Musik-
Psychologie eröffnet durch derartige Unter-
suchungen nicht bloß der Ästhetik, sondern
auch der exacten Psychologie neue Wege.
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