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betont und ihr unerschöpftes Karma er-
wähnt. (»Hier lebt sie heut’ — vielleicht
erneut, zu büßen Schuld aus früherm
Leben, die dorten ihr noch nicht vergeben«.)
In ihrer Erscheinungsform als Kundry
geht der Fluch der Ruhelosigkeit darauf
zurück, dass sie (‚’) den kreuztragenden
Christus verlachte und nun »von Welt zu
Welt« irren muss, bis ihr Erlösung durch
den reinen Menschen wird. Im Widerstreit
mit ihrer dumpfen Erlösungssehnsucht
zwingt sie das dämonische Princip in ihr,
in erdenklicher Weise (siehe früher) gegen
das eigene Heil anzukämpfen. Das Weib
ist nicht imstande, das ersehnte Ende des
Leidens zu erkennen. Sie missversteht
die All-Liebe Parsifals und will seine
Mannes-Liebe, denn sie kann sich über
die Persönlichkeit nicht erheben. (»Für
sie lasse mich ewig verdammt, nie heile
mir die Wunde.«)
Nach der Vernichtung Klingsors und
des Zaubergartens findet Kundry nach
langer Sühne den Erleuchteten wieder,
den sie einst verlachte. Ihr besseres Be-
wusstsein ist durchgebrochen, sie will
nur »dienen, dienen« (ihre einzigen Worte
im dritten Aufzug). Parsifal nimmt Kundry
in Liebe auf und entsühnt sie durch den
symbolischen Act der Taufe, da er nun-
mehr ihre Reinheit erkannt hat. Zugleich
mit der Schuld des Weibes ist auch die
Schuld der Erde getilgt, eine unerhört
liebliche Melodie entblüht der Blumenaue
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als Charfreitags-Opfer (»Wie dünkt mich
doch die Aue heut’ so schön!«).
Kundry findet die Erlösung im Tode. Sie
kann den Glanz des Grals nicht ertragen,
der Anblick des Transcendenten tödtet
sie. Die Erde nimmt sie in ihren Mutter-
schoß und gibt ihr die ersehnte Ruhe.*
Es mag befremden, dass gerade im
»Parsifal«, dem offenkundigsten Erlösungs-
Drama Wagners, die Projection aller
transcendenten Sehnsucht in einer Frauen-
gestalt nicht zu finden ist. Sowohl
in den beiden anderen hauptsächlichsten
Kunstwerken christlicher Ära (»Faust«
und »Göttliche Komödie«), als auch in
den meisten früheren Werken Wagners
ist diese psychologische Umdeutung des
Erlösungs-Sehnens von grundlegender
Wichtigkeit (in »Tristan und Isolde« mit
der riesenhaften Symbolisierung der Nacht
verschmolzen). Bekanntlich hat auch
Nietzsche dieses Moment bei Wagner
herausgegriffen und die psychologische
Identität mit dem christlichen Gedanken-
kreis wohl erkannt. Aber gerade das
Fehlen dieser bedeutsamen Symbol-Gruppe
in seinem letzten Werke zeigt von der
nimmer rastenden Verinnerlichung und Ver-
tiefung des Meisters. Hier steht Wagner
auf einsamer Höhe neben Kant und
Dürer. Dürer entsagte in seinen späteren
Jahren den lieblichen Madonnen-Bildern
mehr und mehr, und versenkte sich immer
tiefer in die Mysterien der Passion.
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