|
großes Clavier zum Geschenke gemacht,
auf das er besonders stolz war. Ich meines-
theils habe ihn niemals auf diesem Masto-
don spielen gehört; als ich einmal das
verstaubte Riesen-Instrument öffnete und
einige Accorde versuchte, fand ich zu
meiner Überraschung, dass es nur über
recht armselige und matte Töne verfügte.
Hier will ich nun erzählen, wie mir jenes
curiose Phänomen zu Bewusstsein kam,
das ich die »Melomanie« des Dichters
Villiers nennen möchte. Als mir das Phä-
nomen zum erstenmale auffiel, kannte ich
von den zahlreichen Arbeiten Villiers’,
die irgendwie zu der Tonkunst in Be-
ziehung stehen, lediglich die grotesk-
lustige Phantasie, die unter dem Titel
»Das Geheimnis der alten Musik« in die
»Contes Cruels« eingereiht ist.
Villiers liebte ausschließlich die Musik
Richard Wagners.
Wir waren einmal beide gemeinsam
bei Ely-Star, einem sehr sachverständigen
Astrologen, zu Gaste geladen. Nach dem
Dîner erklärte uns Villiers, der fortwährend
rauchte, die Theorie des Boxens; mit
der englischen Box-Kunst, die er hoch
über die französische stellte, war er sehr
vertraut, denn er hielt sich selber für
einen respectablen Champion. Bald aber
kam die Unterhaltung ins Stocken, da
keiner von uns beiden, weder Star noch
ich, dem charmanten Causeur wider-
sprechen wollte. Plötzlich nahm Villiers
an dem geöffneten Piano platz, das in
einer Ecke des Zimmers stand, und ver-
suchte mit flüchtigen Griffen einige rasche
Accorde, die uns merkwürdig schienen.
Sofort wandten wir uns um. Wie hatte
ich auch glauben können, dass ein
Mann, dessen Prosa und Poesie ganz und
gar Musik ist, einer Kunst gegenüber in-
different sein könnte, deren Existenz-
berechtigung eben darin liegt, dass sie
Dinge sagt, die sich in Worten nicht
aussprechen lassen! Villiers spielte nun
den ganzen Abend, er sang auch mit
seiner brüchigen, zitternden, geheimnis-
vollen Stimme — und er spielte und sang
fast ausschließlich »Lohengrin«, das gran-
diose Werk, das man in Frankreich so be-
dauerlich spät kennen und schätzen gelernt
hat. Ein herrliches Feuer ergriff ihn auf
einmal; die Accorde wurden leuchtender,
|
lebhafter; der Glaube an die großen Ge-
danken des Meisters gestaltete sozusagen
das Instrument um. Die ganze seltsame
Interpretation ward plötzlich rührend, er-
schütternd. Bis ins Tiefste meiner Seele
drangen die transparenten Orchesterklänge
des Vorspiels, gleichsam getränkt von
den Flammen einer Morgenröthe, die sich
hinanhebt, leuchtend, in ein mächtiges
Crescendo, um allmählich — verblassend
— wie im Traume herabzugleiten. Dann
der silberne Ton der Trompeten, der den
Helden ruft. Dann der übermenschliche
Siegesschrei am Ende des ersten Actes
und der Liebestraum im zweiten Aufzuge,
von Flöten, Oboen, Clarinetten sonderbar
begleitet. Oder die Scene zwischen Ortrud
und Elsa; das Erwachen des Tages, den
die Glut des Orchesters ankündigt; die
seraphische Sanftmuth und Süße des
Liebesdialogs im dritten Acte; oder die
Abschiedsworte des Schwanenritters, in
einer Sprache und Tonstimme, die nicht
mehr von dieser Erde ist. All dies er-
wachte, Scene um Scene, unter den Feuer-
fingern des Dichters und in das Fieber
dieses Genies getaucht. Oft hielt er inne,
um eine vergessene Harmonie wieder-
zufinden. Diese visionären Ekstasen, diese
halblaut gesprochenen und leise geflüsterten
Worte, die von einem anderen Planeten
zu kommen schienen, diese irrenden Blicke,
die sich im Unendlichen verloren und dem
Antlitz des Künstler-Dichters einen traum-
haft verklärten, seelenvoll erhellten Aus-
druck gaben — all dies wird mir un-
vergesslich bleiben. Es ist mir ein kost-
bares Vermächtnis, ein psychologisches
Document.
So war Villiers einer der merk-
würdigsten Interpreten und einer der
leidenschaftlichsten Bewunderer Richard
Wagners, dessen überragende Bedeutung
heute ja auch in Frankreich allgemein
feststeht und nur von den Wenigen an-
gezweifelt wird, denen der Blick durch
einen falschen und albernen Patriotismus
getrübt ist.
Es sei hier nun einer Partitur zu Victor
Hugos »Esméralda« gedacht, die der
bretonische Dichter zwar nicht unter dem
Arm, wohl aber jahrelang in seinem Kopfe
|