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getragen. Von dieser Esméralda-Musik ist
fast nichts bekannt geworden. Auch von
den Vertonungen Baudelaire’scher
Sonette wissen nur die Wenigsten;
Mallarmé und Catulle Mendès, denen
Villiers diese Compositionen oft vorgespielt,
haben sich zu wiederholtenmalen sehr
günstig darüber ausgesprochen. Fast jede
Woche kamen wir in einem gastfreund-
lichen Hause mit Jean Richepin zu-
sammen, dem Dichter des Bettler-Liedes
(»Chanson des Gueux«), der — mit einer
sehr schönen, correcten Stimme begabt —
stets bereitwillig an das Clavier trat, um
uns einige volksthümliche Ronden (»La
Vigne« z. B.) oder einige Melodien aus
der »Miarka« von Alexander Georges vor-
zusingen. Eines Abends, als ich eben über
die seltsame Melomanie unseres Villiers
gesprochen hatte, ließ uns Richepin Ein-
zelnes — soweit ihm dies in Erinnerung
war — aus der Villiers’schen Musik zu
»La Mort des Amants« hören:
»Nous aurons les lits pleins d’odeurs
légères «
Davon ist mir die Erinnerung an eine
musikalische Prosodik geblieben, die sich
den Baudelaire’schen Rhythmen wirksam
anzuschmiegen suchte. Villiers, der zwar
höchst originell zu spielen und Noten gut
zu lesen verstand, war — glaube ich —
außerstande, seine eigene Musik nieder-
zuschreiben! Als ich ihn einmal an eines
seiner Ton-Sonette erinnerte, das er mir
für mein Musikjournal versprochen, aber
nicht gesandt hatte, entschuldigte er sich
in einem Briefe, der vor meinen Augen
liegt, in folgenden Worten: »Sie würden
gar nicht glauben, welche Verlegenheiten
mir die Musik bereitet. Herr Alexander
Georges hat die Composition in seine Ville-
giatur mitgenommen und bis heute nicht
zurückgeschickt. Ich werde mich an Chabrier
wenden müssen, der meine Musik in zwei
Stunden zu Papier bringen wird « In der
That gieng er zu Chabrier, dem bekannten
Componisten der »Gwendoline«, der aber
die Musik des Dichters nicht ernst nehmen
wollte. Villiers kehrte fluchend heim. Doch
hat er später in den Salons der Madame
de Villard, deren Soireen einen bedeuten-
den Ruf genossen und berühmte Gäste
vereinigten, seine Oper und einige seiner
Einzel-Arien des öfteren zu Gehör gebracht.
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Es ist anzunehmen, dass Villiers die Com-
positionen, die er aufzeichnen wollte, be-
freundeten Musikern dictierte oder selber
in dürftigen Noten fixierte, um sie nach-
träglich fachmännisch ausgestalten zu
lassen. In meiner Umgebung gab es
übrigens eine ziemliche Anzahl gewandter
Spieler, die zwar die schwierigsten Ton-
stücke a prima vista bewältigen konnten,
aber gänzlich unfähig waren, selbst die
leichtesten Liedchen (»J’ai du bon tabac«
oder »Au clair de la lune«, etc.) zu Papier
zu bringen. Ich könnte einen bekannten
Musikgelehrten nennen, den Autor sehr
sorgfältig gearbeiteter und commentierter
Sammel-Ausgaben, der gleichwohl, wie er
mir eingestand, nicht imstande war, irgend-
eine kleine Melodie niederzuschreiben, was
ihn aber keineswegs hinderte, seine Com-
positionen in einer durchaus originalen
Weise zu spielen. Villiers de L’Isle-Adam
befand sich in der nämlichen Lage, was
aber sein hohes, ja höchstes Verständnis
für lyrische Tonkunst, das er unzählige-
male bewiesen hat, nicht im geringsten
schmälerte.
Der Musiker Villiers tritt auch in dem
Lebenswerke des Dichters Villiers viel-
fach in Erscheinung.
Catulle Mendès, der seinen Freund
auf der Reise nach Triebschen begleitete,
erzählt in einem Buche über Richard
Wagner u. a., dass Villiers eine Prosa-
Interpretation des »Lohengrin«-Vorspiels
geschrieben habe. Wo sie heute zu finden
ist und ob sie gedruckt wurde, weiß ich
nicht. Aber ich besitze aus Villiers’ Feder
einen anderen Aufsatz, der den Titel
»Souvenir« trägt und einer der merk-
würdigsten Artikel ist, die überhaupt über
Wagner geschrieben worden. Auf diesen
Aufsatz möchte ich hier eingehen, da er
die Kunstprincipien Wagners streift und
zugleich die Schönheits- und Wahrheits-
liebe Villiers’ in helles Licht rückt.
Im Herbst des Jahres 1868 hielt sich
Villiers in Luzern auf und brachte fast
die ganze Zeit bei Richard Wagner zu.
Eines Abends — erzählt Villiers —
um die Dämmerstunde, saßen wir still
im Dunkel des Salons, dem Garten zu-
gewendet; lange, schweigsame Pausen
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