Wiener Rundschau: Jg. 5, Nr. 18, S. 353

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Wiener Rundschau: Jg. 5, Nr. 18, S. 353

Text

HANS VON MARÉES.
Von EMIL RUDOLF WEISS (Baden-Baden).

Welch ein ungeheurer Sumpf von
Engsinn, Stumpfsinn und Allzumensch-
lichem steht um unsere Füße! »Kunst«
heißt er, und die Kröten, die geschäftig
drin rudern und quarren oder sich ge-
sättigt sonnen, die »Künstler« sind’s.
Dieser Sumpf hat Sumpfbusen, Sumpf-
engen, Atlantische und Stille Sümpfe.
Da wohnen die »Kunstgenossenschaften«!
Die alten und behäbigsten der Kröten-
cliquen. Da wohnen Secessionen, die
sich besser dünken, als »dieser da«,
und »Künstlerbünde«. Aber sie alle
quarren. Unermesslich tönt es, und es
gibt bald kaum einen stillen Winkel
auf Erden mehr, wohin das Quarren
nicht dringt. Und es nützt ihnen was,
sie leben nicht umsonst. Sie kennen
die ganze Erde und nützen sie aus.
Sie haben Deutschland ausgeschlachtet,
»Motiv« für »Motiv«. Es ist ihnen
einerlei, sie finden überall »Motive«.
Sie fahren heute in die Eifel und dann
gibt’s Eifellandschaften in Öl und
Aquarell und Lithographie und Radie-
rung; und morgen fahren sie nach
Goppeln, und dann gibt’s ganze Wälder
von gemalten Birken, und morgen gibt’s
Dachauer Moore und übermorgen Ham-
burger Häfen mit und ohne Sonnen-
schein, Dampfer links, Dampfer rechts,
morgens und abends. Alles, alles gibt
Geld! Schließlich wird man eine ganz
berühmte Kröte im großen Sumpf und
hat eine Villa oder zwei und »hätte es
wahrhaftig nicht mehr nöthig«.

Hans von Marées’ Name ist der
Allgemeinheit unbekannt, und selbst
unter den »Künstlern« ist die Zahl
Derer, die ihn kennen, eine lächerlich
geringe, von Denen, die ihn verstehen
und lieben, ganz zu schweigen.

Der Umfang seines Werkes ist nicht
groß. Aber es ist das Werk des
Mannes, der seinerzeit am weitesten
voraus war, dessen Kunst am höchsten
über dem »Markt« steht, der, so wenig
er es bei Lebzeiten zu äußeren Erfolgen,
zu Ruhm, Reichthum und Nachahmern
brachte, der Art seiner Kunstanschau-
ung und Übung das verehrungswürdigste
Vorbild war, — Hans von Marées.
War! Denn er ist todt! So geräuschlos
für die Welt, wie sein Leben, war sein
Tod, dem er im reifsten und herrlich-
sten Mannesalter erlag. Aber ich glaube
nicht, dass ihm jemals die Qualen der
Huldigungen des Schaupöbels in dem
Maße zutheil geworden waren, mit
denen z. B. Böcklin als ehrwürdiger
Greis beleidigt wurde, und wäre Marées
so alt geworden wie Methusalem.

Auch sein Tod, in Deutschland
sonst der couranteste Wechsel auf
Berühmtheit, hat wenig daran geändert
und wird wenig daran ändern. Aber
zu spät kommt nun auch unsere Liebe
und Verehrung, die wir ihm durch die
That gezeigt hätten, wäre er noch bei
uns. In der Stille und fern gieng dieses
Genie zugrunde, während wir Jungen
vergeblich nach einem Meister riefen,
den wir hätten lieben und bewundern
können, er, der uns dieser Meister,
Lehrer hätte sein können. Ein kleiner
Kreis Älterer hatte das Glück, bei ihm
im Atelier, das er mit ihnen hochherzig
theilte, zu arbeiten, denen er der
»Meister« im echten Sinne war; der
Reife, Reiche, Sichere und ewig
Strebende.

Uns lehrt nun sein Werk.

Einer seiner Schüler, Carl von Pidoll,
vor kurzem gestorben in Rom, hat
persönliche Erinnerungen an Marées

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 5, Nr. 18, S. 353, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-05-18_n0353.html)