Wiener Rundschau: Jg. 5, Nr. 18, S. 357

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Wiener Rundschau: Jg. 5, Nr. 18, S. 357

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WEISS: HANS VON MARÉES.

Plan des Bildes sich durchaus nach
plastischen Bildungsprincipien vollzog.

Er zeichnet Figurenstudien nach
der Natur. »Er modificiert ein Blatt
Papier mit möglichst einfachen Mitteln
so, dass es ihm eine verlässliche Er-
innerung an diese Figur gibt.« Er
wiederholt sie aus dem Gedächtnis,
vernichtet die Zeichnungen in Massen,
sobald er sie sozusagen auswendig weiß.
Er hasst das Zeichnen um des Zeichnens
willen. Hauptaufgabe ist ihm die
möglichst klare Erkenntnis und Wieder-
gabe des organischen Aufbaues und
Zusammenhanges des Körpers, wie er
unter einer gleichmäßig vertheilten
Lichtquelle erscheint. Indem er dies
nie aus dem Auge verliert, die für
Geschlecht und Alter charakteristischen
Erscheinungsformen erkennt und betont,
gewinnt er schließlich eine vom Indi-
viduum unabhängige typische Form für
seine Menschen. Sein Ross, der
»homerische Begleiter des Mannes«,
ist überall dasselbe und ein prachtvoller
Typus. (Eine Ausnahme macht einzig
der seltsame, hochbeinige Gaul auf
dem »Heiligen Hubertus«. Durch seine
Unmöglichkeit erhöht er stark das
Mystisch-Märchenhafte des Gemäldes.)
Ebenso sucht er das Typische und
Allgemeingiltige für jede Stellung und
Lage des Körpers festzustellen, weshalb
er auch die Darstellung des Ausnahms-
falles in den Bewegungen verwirft.
Er sucht, um mit Gide zu reden, die
durch den Eintritt in die Zeit verloren
gegangene absolute, krystallisierte, para-
diesische Form aller Dinge. Die Körper
leben untereinander und nur für sich,
zeigen eigentlich nur einen, den ein-
zigen Mann oder Jüngling, das einzige
Weib, die Idee.

Das Licht, die Atmosphäre, in der
seine Menschen leben, ist ebenso
typisch, das heißt ein offenes, blaues
Himmelslicht, ohne Sonne, das alle
Dinge am klarsten als solche zur Er-
scheinung kommen lässt. Man könnte
sagen, es ist das irdische Licht im
allgemeinsten Sinn, wenn man Himmel

und Erde als Gegenüber ansieht, wie
sie sich an schattigen Sommertagen
am ungestörtesten durch vorüber-
gehende Veränderungen der Jahreszeiten
und des Lichtcharakters zeigen. »Jede
satte Farbe hat schattigen Charakter.
Also ist das offene Licht der Natur
immer Helldunkel. Sonne kann man
nicht malen, wenn man es auf klare
Formendarstellung abgesehen hat. Denn
wenn man Sonne malen will, gehen
alle Mittel der Palette auf den Sonnen-
effect, der die Form zerreißt. Sonnig
dagegen wirkt jedes gut dargestellte
Helldunkel.« — Also auch das Licht
seiner Gemälde ist durchaus durch
seine Verwendung zur Erreichung der
vollendetsten plastischen Durchbildung
bestimmt, und daher, wie ich sagte,
ein typisches.

Hievon machen nur zwei mir
bekannte Gemälde eine Ausnahme (von
Porträts abgesehen), nämlich »Der heilige
Hubertus« und »Der heilige Martin«.
Ersterer kniet in schwermüthig grauer
Waldstimmung, St. Martin reitet in
einer Winterlandschaft vor dunklem,
grauem Schneehimmel. Vielleicht war
hier eine Beobachtung eines Farben-
klanges in der Wirklichkeit das erste
Glied einer Associationenkette gewesen,
deren Ausdruckssumme dieses Bild ist,
nämlich der Klang von Grau und Gelb.
Grau, bis zu Schwarz und Weiß ge-
steigert, füllt das ganze Bild aus, aus
ihm strahlt in sonorer Kraft, als ein-
ziger goldgelber Fleck, der Helm des
Reiters. Dieses Bild ist eines der
stärksten und concentriertesten, die
es überhaupt gibt und inhaltlich wie
formal die vollendetste Lösung des
Vorwandes. Als ausgebreitete Tonfläche
wie als farbiger Klang war die ruhige,
blaue Luft der bildnerischen Durch-
führung der Figuren am günstigsten.
Die Farbe war ihm auch nur Mittel
dazu, und weil sie dies war, musste
er zu starkfarbigen Tönungen greifen.
Das Resultat war ihm gewiss gerade
in den Ei-Tempera-Farben, was die Kraft
der Erscheinung angeht, nicht genügend,
weshalb er zu den Ölfarben griff, die
ihm erlaubten, die Scala des Hell-
dunkels auf dem Gemälde außerordent-

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 5, Nr. 18, S. 357, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-05-18_n0357.html)