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keinem Zweifel, dass das rein bild-
nerische Princip als Offenbarungs-
mittel gefühlter Vorstellungen das
höher stehende ist. Ein Anderes
ist es, wenn Böcklin das innerliche
Erlebnis einer allgemeinen, ewigen Idee
in einer unsäglich wundervollen Vision,
einer mystischen Offenbarung einer
Gestalt oder eines Vorganges verkörpert,
wie zum Beispiel die Ewigkeit, Heilig-
keit, Wollust und den Klang alles
Wachsens in der »Venus Genitrix«
(Mittellied!), wobei ihm dann die
dämonische Erkenntnis der malerischen
Ausdrucksmittel in vorher bei keinem
Anderen erlebter Weise zu Hilfe kommt.
Der Urmensch, der Paradieses-
mensch, der Mensch ganz einfach,
der wir sein möchten, der wir
manchmal sind, ist Marées’ einziges,
unerschöpfliches »Motiv« und wird das
Motiv einer künftigen großen, ebenso
innerlichen, offenbarenden, das ist sym-
bolischen, wie in der Erscheinung
decorativen Malerei sein. Die Frage
nach der höchsten Lösung dieser Auf-
gabe war von Marées beantwortet, er
hatte nur noch nicht zu Ende gesprochen.
Diesen Rest der Frage technisch zu
lösen, wird nur noch eine Frage der
Zeit sein. Ein künftiges großes Indivi-
duum, ein »Mensch« und Maler zu-
gleich, jene »besondere Erscheinung
des Menschenthums«, als welche Marées
den Künstler ansah, wird sich von
seinem Punkt aus eine allumfassende
Ansicht und Einsicht der Welt erringen,
wie sie Marées sich von seinem Punkt
aus errungen hatte, eine Welt-An-
schauung, mit der die Möglichkeit
der freiesten Verwendung der Ausdrucks-
mittel Schritt halten wird. Der Vater
dieses Künftigen wird kein anderer
sein, als Hans von Marées.
Marées gibt uns als Mensch und
als Künstler das Beispiel einer Lebens-
führung, wie sie uns die schönste und
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richtigste zu sein dünkt. Jene dumme
und verderbliche Trennung des produ-
cierenden Künstlers von seinem Mensch-
sein hat er nie gekannt. Sie existiert
auch wahrhaftig nur für die Pygmäen,
die als Menschen nichts sind und als
Künstler etwas sein wollen und nicht
können, eben weil sie keine Menschen
sind. Marées »fasste den Menschen im
allgemeinen als ein Stück individuali-
sierter Natur auf, welches sich vermöge
seiner gesteigerten Organisation der
übrigen Natur in gewissem Sinne ent-
gegensetzt und den angeborenen Trieb
nach Einheit und Harmonie als Drang
nach Erkenntnis äußert«.
»Von dieser allgemeinen Thatsache
schien ihm der Künstler durchaus keine
Ausnahme zu machen, und er zählte
denselben dreist zu jener Minderheit,
in welcher sich — zu eigener Lust und
eigenem Leid — das Ringen der ganzen
Menschheit nach dem Lichte der Er-
kenntnis abspielt.« (P.) Konrad Fiedler,
Marées’ Mäcen in den späteren Jahren
seines Lebens, sagt von ihm*: »Es
war bezeichnend für ihn, dass er die
Forderung künstlerischer Leistungs-
fähigkeit als eine moralische Forderung
an den Charakter aufstellte. Er wusste
wohl, dass, um ein guter Künstler zu
werden, mehr nothwendig sei als Ge-
sinnung; aber er wusste auch, dass
ein Mangel an moralischer Tüchtigkeit
selbst die hervorragendste Begabung
unter den gefahrlichen Einflüssen der
Zeit zu Schaden kommen ließ. Es lag
ihm im allgemeinen fern, die einzelnen
Seiten der menschlichen Natur getrennt
zu betrachten, er pflegte den Menschen
als ein Ganzes aufzufassen, und wenn
er an das Künstlerthum dachte, zu
dem der Einzelne berufen sei, so dachte
er nicht an die Ausübung einer be-
sonderen Fähigkeit, bei der es auf die
sonstige Beschaffenheit des Individuums
nicht ankäme, vielmehr war ihm auch
der Künstler ein ganzer Mensch, er
sollte mehr sein, als der Hervorbringer
von Kunstwerken, er sollte eine be-
sondere Modification des Menschen-
thums darstellen.«
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