Wiener Rundschau: Jg. 5, Nr. 18, S. 361

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Wiener Rundschau: Jg. 5, Nr. 18, S. 361

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RUNDSCHAU.

Ich setze endlich einige biogra-
phische Daten her, die ich meinem
Freund, dem Maler Würtenberger,
verdanke.

Hans von Marées ist geboren in
Elberfeld 1837, gestorben in Rom 1889.
Er studierte in München, gieng dann
nach Italien, wo er dauernd blieb. Er
hatte dort in späteren Jahren einen
Kreis von directen und indirecten
Schülern um sich (Bruckmann, die
Bildhauer Volkmann, Hildebrandt und
Carl von Pidoll), lebte aber sehr zu-
rückgezogen. Er hatte eine stark
suggestive Natur und beherrschte mit
seiner Stimmung die jeder Gesellschaft,
in die er kam. Sein Gespräch hatte
etwas Fascinierendes. »Schöne Reden
über Kunst, ja, die konnte er halten«,
sagte Frau Böcklin von ihm. (!) Von
Gestalt war er mittelgroß und fein-

gliedrig. (Sein wundervolles Selbst-
bildnis in Schleißheim ist vielleicht die
größte und einfachste Lösung des
Problems eines Maler-Selbstbildnisses,
die es gibt!) Seine hinterlassenen Bilder
gehörten zum größten Theil Konrad
Fiedler, der, wie erwähnt, Marées in
den letzten Jahren seines Lebens unter-
stützte. Von ihm erhielt der bayerische
Staat die in der Schlossgallerie in
Schleißheim befindlichen und dort un-
würdig zusammengepfercht und schlecht
beleuchtet hängenden Bilder. Hoffen wir,
dass ihnen endlich in der Pinakothek
eine würdige Aufstellung zutheil wird!

Marées hat, bis Fiedler kam und
half, den in Deutschland selbstverständ-
lichen Kampf des Künstlers um die
Existenz in schnödester Form mit den
»übrigen Menschen« theilen müssen.

RUNDSCHAU.

Die philosophische Kritik beginnt sich
bereits mit der Verwertung der Resultate
physikalischer Forschung zu beschäf-
tigen. Während man dem geistigen
Gehalt der Leistungen aus der Mitte
des XIX. Jahrhunderts wohl zu wenig
Interesse entgegenbrachte — weil um
diese Zeit das biologische Problem
und der Darwinismus im Vordergrunde
standen —, zwingt die Entdeckung der
merkwürdigen Strahlungs-Erscheinungen
den Erkenntnis-Theoretiker, auf dieses
Gebiet mehr als bisher acht zu haben.
Seit knapp sechs Jahren ist man einer
Kette von Erscheinungen auf der Spur,
welche, indem sie das Band der Verwandt-
schaft zwischen den Energie-Formen
stärker knüpfen, auf das älteste Problem
der Speculation, die Constitution der
Materie, viel Licht werfen. Eine beach-
tenswerte Studie über dieses Gebiet
bringt Dr. Mayer in den »Philosophischen
Jahrbüchern«. Die Stellung und Bedeu-
tung der Materie in den Systemen der
Eleaten, des Aristoteles, Leibnitz, Kant
und Schopenhauer wird kurz erörtert, der

Wert der beiden allein möglichen Con-
stitutions-Hypothesen (Atomismus und ma-
terielles [unendliches] Continuum) deutlich
gemacht. Hieran schließen sich die Folge-
rungen, zu denen die neuesten Ent-
deckungen der Strahlungs-Physik zwingen.
Dieser entsprechend, scheint die » Corpus-
cular-Hypothese« Lord Kelvins am meisten
mit der Erfahrung übereinzustimmen. Sie
lehrt die Weiter-Theilbarkeit der Atome
in kleinere, elektrische Ladungen tragende
Quanta, »Corpuskeln«, welche wahrschein-
lich ausschließlich das Strahlungs-Phänomen
der Kathoden-, Becquerel- und Uran-
Strahlen
hervorbringen, indem sie mit
ungeheurer Geschwindigkeit bei der Ent-
ladung durch den Äther transportiert
werden. Der philosophische Wert dieser
Hypothese liegt darin, dass damit
— zum erstenmale seit den Tagen der
jonischen Naturphilosophen — ein Mittel-
Standpunkt zwischen den Atomistikern
und den Vertretern des Continuitäts-
princips gewonnen ist. Die Corpuskeln
sind frei sich durcheinander verschlingende
und durcheinander gleitende Flüssigkeits-

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 5, Nr. 18, S. 361, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-05-18_n0361.html)