Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 1, S. 7
Text
Hinter seiner Ehrerbietigkeit und Demuth steckt die jesuiti-
sche List. Keiner kann sich so gut wie er zur rechten Zeit
an einen heranschleichen und ihn beim Fusse packen, sich
in die Eisgrube verkriechen oder bei einem Bauer eine
Henne stehlen. Oft genug hat man ihm die Hinterfüsse zer-
schlagen, zwei-, dreimal ihn gehenkt, jede Woche fast halb-
todt geprügelt, doch jedesmal kam er auf.
Jetzt steht der Grossvater wahrscheinlich beim Haus-
thor, blinzelt mit den Augen auf die grellrothen Fenster der
Dorfkirche und schäkert, in den Filzstiefeln herumtrippelnd,
mit dem Gesinde. Sein Schlägel ist an den Gürtel gebunden.
Er schlägt die Hände zusammen, zittert vor Kälte, lacht und
zwickt bald das Stubenmädchen, bald die Köchin.
»Wollen wir nicht einmal Tabak schnupfen?« fragt er
und steckt den Weibern die Tabakdose unter die Nase.
Die Weiber schnupfen und niessen. Der Grossvater ge-
räth in ein unbeschreibliches Entzücken, schüttelt sich vor
Lachen und ruft:
»Reib’ ab, ’s ist angefroren!«
Man gibt auch den Hunden zu schnupfen. Kaschtanka
niest, dreht mit dem Kopf und geht beleidigt zur Seite.
Wjun jedoch will aus Höflichkeit nicht niesen und wedelt
mit dem Schweif. Und das Wetter ist prachtvoll. Die Luft
still, durchsichtig und frisch. Die Nacht ist finster, doch
sieht man das ganze Dorf mit seinen weissen Dächern und
dem Rauch, der sich aus dem Kamin schlängelt, die Bäume,
vom Reif versilbert, Schneehaufen. Der ganze Himmel ist
mit lustig flimmernden Sternen bedeckt, und die Milchstrasse
ist so klar, als wenn sie vor den Feiertagen gewaschen und
mit Schnee abgerieben worden wäre
Wanjka seufzte, tauchte die Feder ein und schrieb
weiter:
»Aber gestern bin ich geprügelt worden. Der Meister
schleppte mich bei den Haaren in den Hof und pfefferte
hinein, weil ich dero Kind schaukelte und dabei unbeab-
sichtigt eingeschlafen bin. Und vorige Woche hiess mich
die Meisterin einen Häring reinigen, ich aber begann vom
Schwanz, sie nahm jedoch den Häring und hat mich mit
dessen Schnauze ins Gesicht gestuppt. Die Gehilfen lachen
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 1, S. 7, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-01-01_n0007.html)