Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 1, S. 8
Text
mich aus, schicken in den Branntweinschank um Schnaps
und lassen mich bei den Hausleuten Gurken stehlen, und der
Meister haut dann drein. Zu Essen gibt’s aber gar nichts. Und
in der Früh geben sie Brot, zu Mittag Grütze und Abends
auch Brot, aber Thee oder Kohlsuppe, das fressen die Haus-
leute selber. Und schlafen muss ich im Vorzimmer, wenn aber
dero Kind weint, schlafe ich gar nicht, sondern schaukle die
Wiege. Liebes Grossväterchen! Thue die göttliche Gnade,
nimm mich von hier nach Hause, ins Dorf, habe keine Mög-
lichkeit mehr Ich falle Dir zu Füssen und werde ewig
Gott bitten, führe mich von da weg, sonst sterbe ich «
Wanjka verzog den Mund, wischte sich mit der ge-
schwärzten Faust die Augen und schluchzte.
»Ich werde Dir Tabak reiben,« setzte er fort, »zu Gott
beten, und wenn ich was thu, so schlage mich lahm und krumm.
Und wenn Du glaubst, ich kriege keine Anstellung, so werde
ich den Verwalter um Christi willen bitten, dass ich ihm
die Stiefel putzen darf, oder ich gehe statt Fedjka als Hirten-
knabe. Grossväterchen, Du Lieber, es ist gar keine Möglich-
keit, der reinste Tod. Ich wollte zu Fuss ins Dorf laufen,
hab’ aber keine Stiefel und habe Angst vor der Kälte.
Wenn ich aber gross werde, werde ich Dich dafür ernähren
und von Niemandem beleidigen lassen, wenn Du aber stirbst,
werde ich eine Messe lesen lassen, genau so wie für die
Mutter Palageja.«
»Moskau ist aber eine grosse Stadt. Lauter Herrschaft-
häuser und viel Pferde, nur gibt es keine Schafe, und die
Hunde sind nicht böse. Die Buben gehen hier nicht mit dem
Stern, und in der Kirche singen darf man nicht, einmal aber
habe in einem Ladenfenster Haken mit der Schnur und für
alle Fische verkaufen sehen, sehr theuer, es gibt sogar solche
Haken, die einen halbcentnerschweren Wels tragen können.
Und man sieht einige Kaufläden, wo Gewehre sind wie das
vom Herrn, so dass wahrscheinlich hundert Rubel ein jedes
Und in den Fleischhandlungen gibt es Birk- und Reb-
hühner und Hasen, und wohin man sie schiesst, das sagen
die Händler nicht.«
»Liebes Grossväterchen, wenn aber die Herrschaften
wieder einen Christbaum mit Geschenken haben, nimm für
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 1, S. 8, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-01-01_n0008.html)