Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 2, S. 66
Text
dunkelblonde Boticelli-Frisur und trieb ihr diese feinen,
wirren Locken zuweilen spielend ins Gesicht.
»Herr Baron,« begann sie plötzlich, »sehen Sie, so ein
Mann wie Sie hat mir gefehlt Ach, Herr Baron, ver-
kennen Sie mich nicht: Aber wollen Sie mir rathen, wollen
Sie mein Freund sein?«
Sie waren gerade zwischen zwei dichten Jasminbüschen,
die mit weissen Blüthen und grünen Blättern duftend
den sandigen Gartenweg säumten. Kühler Schatten lag auf
dieser stillen Fläche, nur hie und da drang schimmernd und
golden ein gelber Sonnenstrahl durch das Gezweig.
Der junge Mann blieb stehen und reichte ihr höchst
feierlich die Rechte.
»Ihr Freund? — Gnädige Frau, ich wäre es sehr gerne.
Aber ich glaube, es wäre doch zu gefährlich — für mich.
Denn sehen Sie, gnädige Frau, ich liebe Sie ja. Aber ge-
rade wegen dieser Liebe, weil ich Sie so hochschätze, darf
ich es nicht sein. Ich müsste mich ja schämen — Ihrer Un-
schuld, Ihrer Reinheit gegenüber mit meiner tiefen, wilden,
begehrlichen Liebe.«
»Oh Gott, wenn das mein Mann wüsste, wie gut Sie
sind, wie edel Sie sind! Herr Baron!!« Sie hatte sich
jäh gebückt, seine Hand halb hinaufgezogen und einen
heissen, glühenden Kuss darauf gedrückt.
»Aber, gnädige Frau,« sagte er ganz erschreckt und
blickte ihr voll in die Augen.
Da hielt es sie nicht länger. Mit beiden Armen um-
schlang sie seinen starken und gebräunten Hals und warf
sich schluchzend, bebend, wild an seine Brust.
»Herr Baron, lieber, guter Herr Baron! Sie sind ja so
hoch, so heilig, so hehr! Und ich liebe Sie, Herr Baron,
ich liebe Sie «
Weiter kam sie nicht. Er presste sie jubelnd, heiss und
jäh an sich und küsste sie wie toll auf Aug und Mund und
Wangen: »Gnädige Frau, süsse gnädige Frau! «
Und das Alles, weil sie ihrem Manne treu war und weil
»Er« diese Treue ganz zu würdigen verstand.
Wien. Rudolf Strauss.
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 2, S. 66, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-01-02_n0066.html)