Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 3, S. 120

Burgtheater Harden, »Literatur und Theater«

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Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 3, S. 120

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120 KRITIK.

unechten Gefahren vermag sie
wieder zusammenzuführen. — Von
der Romantik, die der Autor ver-
spotten will, ist am ersten Acte
etwas Stimmung haften geblieben.
Im Uebrigen erregten ein paar
parodistische Züge, auf Romeo
und Julie gemünzt, flüchtige Heiter-
keit. Die Seichtheit des Ganzen,
die Fulda gelockt haben mag, er-
müdete. — Die Darstellung entbehrte
des persiflirenden Grundtones. Herr
Mitterwurzer spielte den die
Scheinromantik arrangirenden Hel-
fershelfer des Väterpaares. Für
derlei Rollen hat Gabillon eine
Tradition hinterlassen, die festzu-
halten Herrn Mitterwurzer bereits
wiederholt misslungen ist. Ihm fehlt
der bramarbasirende Humor, der
sich durch Pointiren nicht ersetzen
lässt. Ganz unzulänglich erwies sich
Herr Tressler, Herrn Burckhard’s
neueste Entdeckung. Sch.

Maximilian Harden. Litera-
tur und Theater. — Berlin.
Freund & Jeckel.

Unter den Schriftstellern deut-
scher Zunge wird keiner wohl
mehr gehasst und keiner mehr ge-
liebt als Maximilian Harden. Denn
keiner ist schonungsloser als Feind
und keiner zärtlicher als Freund
wie gerade dieser grosse Literat.
Das ist das Charakteristische an
ihm: das Unbedingte. Er verehrt
oder er verdammt, vor dem Einen
kniet er, und auf den Andern

setzt er stolz seinen Fuss. Halbe
Gefühle sind ihm fremd, Gleich-
giltigkeit kennt er nicht; was man
bei Deutschen nur zu selten findet,
ist er: ein Temperament. So treibt
ihn jede Stellungnahme sofort zur
Schlacht. Ob er gegen Feinde sich
stemmt oder für Freunde sich ein-
setzt — immer finden wir ihn in
der Fechterstellung. Es ist ein
Dasein um den Kampf. Aber seine
Klinge ist fein, ist haarscharf ge-
schliffen, und er führt sie mit
einer leichten, spielerischen Ele-
ganz, die in ihrer Sicherheit ver-
blüfft; die Riesenzahl der tief Ver-
letzten, die ihn mit heissem
Grimm verfolgen, stellt seiner gra-
ziösen Gladiatorkunst das denkbar
ehrendste Zeugniss aus. Für den
Aesthetiker Harden gelten diese
Sätze nicht weniger wie für den
stürmisch befehdeten Politiker.
Seine literarischen Aufsätze, seine
Essays — begeisterte Verteidi-
gungen sind es oder flammende
Anklageschriften. Und dennoch ist
Harden kein blosser Kampfkritiker.
Wer wie er die heimlichsten Mängel
eines angegriffenen, die letzten
Absichten und Reize eines ver-
theidigten Werkes aufzudecken
weiss, der ist gewiss unendlich
mehr. Vielleicht dürfen wir von
Sainte-Beuve, seinem Lehrer, das
ehrende Epitheton entlehnen, das er
verdient, und dankbar und freudig
ihn einen erklärenden Kampf-
kritiker heissen. R. St.



Herausgeber und verantwortlicher Redacteur: Rudolf Strauss.

Ch. Reisser & M. Werthner, Wien.

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 3, S. 120, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-01-03_n0120.html)