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Volkstheater. »Die
Ver-
liebten.« Drama in fünf Acten
von Maurice Donnay.
Als ich voriges Jahr in einem
leider nun entschlafnen Blatte
unseren lieben Phäaken ein bischen
pariserisches Blut zu injiciren suchte,
da zeigte ich ihnen u. A. auch das mit
echt decadenter Grazie beschenkte,
das schillernde Temperament eines
jungen Franzosen, den zwischen
Simmering und Nussdorf noch
Niemand kannte; nun spielen sie
im Volkstheater sein neuestes Stück.
Es war Maurice Donnay, dessen
»Verliebte« man so stürmisch jetzt
bejubelt In diesem Werke
steckt aber auch eine ganz eigene
Verführung und Depravation. Wie
über schimmernde, blühende Körper
ist über die Sünde hier ein feiner,
weiter Schleier schwermüthiger
Wohlanständigkeit gebreitet, der
sie nur lockender noch, nur duf-
tiger macht. Nicht eine einzige
ehrbare Frau tritt auf — allein
um der Cocotten Haupt flimmert
die sanfte Gloriole zärtlichster
Mütterlichkeit. Bis drei Uhr Früh
verweilen die Verliebten bei ein-
ander — aber George begnügt
sich, seiner angebeteten Claudine
verträumte Verse träumend vor-
zutragen. — — Es lockte Donnay,
unszu zeigen, wie die Liebe sich in
Menschen malt, die verrucht und
verderbt und aller Unschuld bar
sind. Ein Pendant zum Liebespaar
der Naivetät, zu Romeo und Julia,
hat er in seinem Liebespaar von
Raffinirten möglicherweise zeichnen
wollen. Die Ersten — sie trennt
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nur Tod und Sterben — die Zweiten
aber gehen freiwillig, wenn auch
leicht erschüttert, auseinander, und
wenn nach kurzen Jahren der Zu-
fall sie wieder zusammenführt, dann
sprechen sie mit einem leisen,
müden, skeptischen Lächeln, aber
doch sehr wohlwollend — de
mortuis nil nisi bene — von ihrer
gestorbenen Liebe. Dass Donnay
den geschmackvollen Muth fand,
diesen typischen Fall trotz seiner
simplen Schlichtheit direct vom
Leben weg ganz uncomplicirt auf
die Bühne zu verpflanzen, das scheint
mir ein Zug von echter, edler Grösse,
von der wir Vieles noch erwarten
dürfen.
R. St.
»Christus« von F. Liszt. In
Wien zum erstenmale aufgeführt
am 18. December 1896.
Ueber ein Vierteljahrhundert
nach seinem Entstehen musste ver-
streichen, ehe es Liszt’s »Christus«
in Wien (von Kürzungen im stabat
mater abgesehen) zu einer voll-
ständigen Aufführung brachte, und
auch da war es nicht die Gesell-
schaft der Musikfreunde, der wir
diese That verdanken sondern
die österreichische Leo-Gesellschaft,
welche das Zustandekommen des
Unternehmens künstlerisch förderte
und unterstützte. Ohne gerade zu
den Liszt-Verehrern zu zählen,
müssen wir dem »Christus« eine
eminent künstlerische Bedeutung
zuerkennen. In der geistvollsten
Weise hat der Meister es ver-
standen, die alten Kirchentonarten
in ihrer Keuschheit und Reinheit
mit unserer modern - sinnlichen
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