Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 4, S. 159

»Christus« Eingesendet Schmidt, »Exredacteur Sauer«

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Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 4, S. 159

Text

KRITIK. 159

musikalischen Ausdrucksart zu
einem einheitlichen Ganzen zu ver-
weben und dies Alles durch
den Glanz vollendeter Instrumen-
tation noch zu steigern. Leider
wird dieser gute Eindruck durch
die vielen langsamen Tempi, durch
zu häufige Wiederholungen und
durch Zwischenspiele, die in den
Chorsätzen immer wieder auftreten,
doch etwas beeinträchtigt. Bei einer
neuerlichen Aufführung des Werkes,
die wir selbstverständlich nur be-
fürworten würden, wären fast selbst-
verständliche Kürzungen vor Allem
im »Weihnachtsoratorium« und in
dem viel zu weit ausgedehnten
»tristis est anima mea« dringend
zu empfehlen. Die Aufführung, bei
welcher die Singakademie, der
»Schubertbund« und ein eigens zu
diesem Zwecke organisirtes Or-
chester mitwirkten, machte dem
Dirigenten Ferdinand Löwe alle
Ehre, man konnte jedem Einzelnen
das durch die künstlerisch sichere
Ruhe des Dirigenten bedingte Ver-
trauen in das Gelingen der Sache
deutlich anmerken. H. K—r.

Lothar Schmidt. »Exredacteur
Sauer.« Verlag von Schuster &
Loeffler
. Berlin 1896.

Simplex sigillum veri, so lautet
das bescheidene Motto, das der
Autor seinem Buche voranstellt.
Ein schlichtes Bild der Wirklich-
keit! Jawohl, aber nicht Jeder
kann diese Wirklichkeit sehen und
nicht Jeder mit so prachtvollem
Impressionismus malen, wie Lothar
Schmidt es gethan. Wie der seelen-
gute, wehmüthig - sarkastische Ex-
redacteur zum Clavierspieler herab-
sinkt, der allabendlich um drei
Mark und Freibier das verstimmte
Pianino der »Cerevisia« bearbeitet,
und wie er mit Erna, der stillen,

verhärmten Kellnerin, sich wieder
zu einem soliden, gut bürgerlichen
Hausvaterglück emporschuftet, das
ist so frisch, so keck und so
lebensvoll hingehaut, dass man
seine helle Freude über das Büch-
lein haben muss. Besonders gut
ist neben dem bisweilen an Col-
lege Crampton gemahnenden Ex-
redacteur die überaus schwer zu
zeichnende Figur der Kellnerin
gelungen. Die meisten Modernen
scheitern an zwei Klippen, ent-
weder renommiren ihre Heldinnen
allzu sehr mit dem verlorenen
Jungfernkranz aus veilchenblauer
Seide, oder ihr Haupt umleuchtet
ein flimmernder Heiligenschein, ihre
unsterbliche Seele ist rein und
weiss nichts von dem, was nach
Mitternacht die sterbliche Hülle
thut. Beide Gefahren hat Lothar
Schmidt glücklich umsegelt und
ein liebes gutes Ding geschildert,
das als Gouvernante eine Dumm-
heit machte und darum Kellnerin
werden musste. E. S.

EINGESENDET.

Wir werden um Veröffentlichung
folgender Zeilen gebeten:

Geehrte Redaction!

Die Art, wie ein in dem Artikel
Nr. III »Die demolirte Litera-
tur« Angegriffener auf diese Satyre
reagirte, scheint mir nach jeder
Richtung hin geeignet, Befremden
zu erwecken. Auf einen geistreichen
literarischen Angriff gibt es meinem
Empfinden nach nur zwei Formen
der Erwiderung. Entweder man
replicirt — und bei Literatenkämpfen
ist die natürlichste Waffe wohl die
Feder — ebenso scharf und geist-
reich: das hat allerdings seine
Schwierigkeiten, denn mit treffen-
dem Witze zu antworten, ist nicht
Jedermanns Sache — oder man

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 4, S. 159, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-01-04_n0159.html)