Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 5, S. 161
Text
Wiener Rundschau.
15. JANUAR, 1897.
EINE SCHAUSPIELERIN.
Novelle von Gabriele Reuter (München).
»Wie —? Was —? Verlobt? Die Ridberg und Heller?«
»Ja — es scheint so, Herr Director,« antwortete der kleine, ein
wenig verwachsene Komiker. »Ich sah sie wenigstens heute Nachmittags
wieder von einem gemeinsamen Spaziergang kommen. Sie führte sich
an seinem Arm. Nun — und das kann doch bei Fräulein Ridberg nur
eine Verlobung bedeuten.«
»Allerdings — allerdings!« Director Luckner’s schwarzer Zwickel-
bart zuckte aufgeregt unter seiner stark gebogenen Nase. Er klemmte
nervös das Monocle ins Auge und starrte nach der Seitencoulisse
hinüber, wo der gefeierte Gast des Abends neben der ersten Lieb-
haberin stand.
Zum letztenmal hatte sich eben der Vorhang niedergesenkt.
Aber noch immer klatschten einzelne Begeisterte unermüdlich weiter,
während das Publicum sich rauschend, klappernd, stimmen surrend
entfernte.
Director Luckner suchte seinen Weg zwischen den Decorations-
stücken, die von den Theaterarbeitern mit der ihnen eigenen Hast
fortgerissen wurden, zu den Beiden hinüber. Er pustete in kurzen
Athemzügen.
»Dem wird’s Gratuliren auch bitter,« raunte einer der Leute hinter
ihm, die Anderen lachten verstohlen.
Aber er streckte dem Paar jovial und väterlich die Hände
entgegen.
»Sagt mal, Kinder, darf man euch denn wirklich Glück wünschen?«
Sie standen noch im Costüm des Abends, Petruchio und das
widerspenstige Käthchen, heiss und erregt von Shakespeare’s wildem
Liebesspiel. Herrlich kleidete die üppige Renaissancetracht das Mädchen
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 5, S. 161, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-01-05_n0161.html)