Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 5, S. 162
Text
mit der stolzen Büste, dem vollen Halse und dem von guter Laune
sprühenden, in den übertriebenen Farben der Schminke leuchtenden
Antlitz.
Als der Director neugierig und indiscret fragend auf sie zutrat,
zog sie die Brauen zusammen, und ihre Haltung markirte eine kühle
Abweisung.
Doch Petruchio-Heller blickte ihr schelmisch, siegreich in die
Augen.
»Darf er, Käthchen? Ich denke, wir erlauben es ihm. Ja, ja,
Director, Sie dürfen!«
Und glücklich lachend, mit der unwiderstehlichen Kraft des
Empfindungsausdruckes, durch den er das Publicum stürmisch gewann,
riss er auch das Mädchen an seiner Seite, die noch zitterte vom
Nachhall der leidenschaftlichen Rolle, über Zögern und Schwankungen
hinweg. Er legte ritterlich den Arm um ihre Schulter, und so nahmen sie
die Glückwünsche der Collegen entgegen. Im Nu flog die Parole Trepp
auf, Trepp ab, die winkeligen Gänge hindurch, bis in die Garderoben.
Wer heute Abend beschäftigt gewesen und wer auch nur um den
fremden Gast, den vielgenannten Franz Heller zu sehen, da herum-
gestanden, Alles kam erregt auf die Bühne zurück, die Herren schon
in Ueberziehern, die Damen im Strassenkleide, in Hut und Schleier.
Das flüsterte und tuschelte unter dem Theatervolke:
»Haben Sie gehört ? Gleich auf der ersten Probe war er
von ihrem Anblick betroffen!«
»Ja — das ist uns Allen aufgefallen!«
»Und diese endlosen Kunstgespräche!«
»Ah — Heller ist ein Schlaukopf — der weiss, wie man die
modernen Käthchen fängt!«
»Ach, gehen’s doch, Sie sind immer so cynisch!« schmollte die
Sentimentale mit dem Charakterspieler, und er kicherte boshaft.
»Ein himmlisches Paar!« schwärmte die Theaterelevin und flüsterte
freudig erwartungsvoll: »Nun geht sie gewiss ab.« In Gedanken setzte
sie hinzu: »Die Rollenhyäne!«
»Warum sollte sie? Er wird ihr doch ein Engagement in Berlin
verschaffen?«
»Na, das scheint mir noch sehr die Frage. Uebrigens — natürlich —
ich wünsche ja Fräulein Ridberg alles Gute Nur — in Berlin ist
ihr Genre gerade nicht so sehr beliebt.«
»Aber Herr Oberregisseur, was wollen Sie denn damit sagen?«
»Nichts, meine Damen, gar nichts Bei aller Hochachtung
vor Fräulein Ridberg’s Talent müssen wir doch Alle zugeben, dass
eine gewisse Kühle und Herbigkeit ihren Rollen oft schadet. Sie ver-
stehen mich schon. Ich bleibe dabei, eine Schauspielerin muss Er-
fahrungen gemacht, kurz und gut, muss gelebt haben, um den Gipfel
ihrer Kunst zu erreichen.«
»Darum verlobt sie sich wahrscheinlich,« warf die Soubrette
schnippisch hin, und Alles lachte.
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 5, S. 162, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-01-05_n0162.html)