Text
Wiener Rundschau.
15. FEBRUAR, 1897.
EIN OCTOBERTAG.
Novellette von Carl Larsen (Kopenhagen).
Autorisirte Uebersetzung von Ernst Brausewetter.
Die Wirthin hatte am Nachmittag zu dem einzigen Herrn
gesandt, der, wie sie wusste, hin und wieder zu ihm gekommen
war und ihn besucht hatte. Und ein ganz junger Arzt, der in
der Nähe wohnte und schon am Morgen dagewesen war, um
den Todten zu besichtigen, war noch einmal heraufgegangen
— er konnte ja gut wiederkommen und ein wenig mit dem
Freunde reden, worum die Frau ihn gebeten hatte, er ver-
säumte ja weiter nichts damit.
Die beiden Männer hatten dann gesessen und eine ganze
Menge geschwatzt, hin und her.
»Nein, ich kann das nicht begreifen,« sagte der Freund
wieder und schüttelte den Kopf.
Der Arzt knipste eine kleine Flocke von seinem Rock.
»Es liegt ja nichts vor, was auf eine acute Manie deutet,«
bemerkte er.
»Nein — und in den Verhältnissen liegt nicht das ent-
fernteste Motiv. Wir sassen gerade hier, hier oben,« wieder-
holte er — »vor drei Tagen — er sass dort im Sopha mit
seinem Grog. Er hatte sich daran gewöhnt — jeden Abend
kochte er auf einem kleinen Spiritusapparat selbst das Wasser.
Wir sassen gerade und plauderten von allem Möglichen —«
»Nein, ich begreife es nicht.«
Der Andere meinte, dass Aerzten ja oft in all den
Familien Dinge begegneten, von welchen gewöhnliche
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 7, S. 241, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-01-07_n0241.html)