Faksimile

Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 7, S. 277

Text

KRITIK.

C. Karlweis: Das grobe
Hemd. Als vor zwei Jahren das
Raimund-Theater den »Kleinen
Mann« brachte, schien dem todtge-
glaubten Wiener Drama ein Er-
wecker erstanden. Aus dem er-
loschenen Brande Nestroy’schen
Hohns sprühten einige Funken in
ein genügsam gewordenes Parquet,
und besonders findige Reporter er-
nannten Herrn Karlweis taxfrei zum
Wiener Aristophanes. Die Hoff-
nungen, die auch Einsichtige da-
mals auf den Autor setzten, hat
sein neuestes Werk bedeutend
herabgemindert; es ist eine normal
gebaute deutsche Posse, über die
sich harmlose Naturen zwei Stunden
lang recht gut unterhalten können.
Wir finden hier, in’s Hernalserische
localisirt, alle unsere alten Be-
kannten aus der Marionettenwelt
deutscher Lustspieldichter wieder:
den zärtlichen Vater mit dem
Stolz auf den »studirten« Sohn,
den unterdrückten Ehemann, den
unschuldsvollen Engel u. s. w., und
schliesslich ändert es nicht viel
am Werthe des Stückes, wenn, mit
ganz am Aeusserlichen haftender
Verspottung gewisser neuerer Wiener
Typen, der Socialismus eines Vor-
stadtgigerls zur Beschaffung der
nöthigen Verwicklungen verwendet
wird, die friedfertigeren Zeiten ge-
wöhnlich die bösartige Schwieger-
mutter liefern musste. Es ist immer
misslich, wenn der Humorist dem
Satyriker ins Handwerk pfuscht;

letzterer muss das Wesen der
Dinge verstehen, deren Aeusserlich-
keiten er verspottet. Aber die
Spässchen, mit denen Herr Karl-
weis sein verständnissinnig jubeln-
des Publicum auf Kosten einer
begeisterungsfähigen Jugend unter-
hielt, sind recht abgeschmackt und
finden die richtigste Kritik in der
Bemerkung des alten Schöllhofer:
Es gibt Dinge, die zu ernst sind,
als dass man mit ihnen spielen
dürfte. Und sogar ein falsch ver-
standener, ja posirter Idealismus
steht allen denen, die le beau geste zu
schätzen wissen, noch immer viel
höher als jene verbohrte Anti-
pathie gegen alles Geistige, die
Wien in cultureller Hinsicht auf
den Rang einer Provinzstadt herab-
gedrückt hat. «Das hätte Karlweis
Niemand zugetraut», wie sich kürz-
lich der erste Wiener »Kenner«
pathetisch äusserte, er, der Mae-
terlinck in Wien eingeführt hat.
Sic transit F. R.

K. k. Opernhaus. Schubert-
Feier. »Der vierjährige Posten«,
»Der häusliche Krieg« von Franz
Schubert.

Mit ihrer Schubert-Feier hat
die Oper weder den todten Meister
sehr geehrt noch dem zahlreich
erschienenen Publicum besondere
Freude bereitet. Die Aufführung
des »Häuslichen Krieges« war
keine Heldenthat; im Gegentheile:
sie deckte nur Blössen auf: ein
so reizendes Werk, wie dieses,

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 7, S. 277, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-01-07_n0277.html)