Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 7, S. 280

Lange, »Thorwaldsen’s Darstellung des Menschen« Verlaine, »Choix de Poésies«

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Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 7, S. 280

Text

280 KRITIK.

Verständniss für die subtile Gliede-
rung der keuschen Kunst des
grossen Formenmeisters verfolgt
er dessen Schaffen, von seiner An-
kunft in Rom — dem eigentlichen
Geburtstage des Künstlers, wie
Thorwaldsen jenen 8. März 1797
später scherzend nannte — bis zu
jenem Märztage 1844, der Däne-
mark einen seiner grössten und
sicher seinen nationalsten Meister
entriss. Durch Benützung der zahl-
reichen Skizzen und Entwürfe (im
Besitze des Thorwaldsen-Museums),
die hier zum erstenmale zum
Theile in graphischer Nachbildung
veröffentlicht wurden, durch Pa-
rallelen seines Schaffens mit dem
Einflusse, welchen Zeit, Freunde
und Ereignisse auf ihn nahmen,
gelingt es Lange in diesem durch-
aus modernen Buche, das sich frei
hält von aller kunsthistorischen
Abstraction, eine geradezu glän-
zende psychologische Analyse von
Thorwaldsen’s Darstellung mensch-
licher Formen zu bringen. Es ist
das Phantasiebild einer hoch-
strebenden Zeit, das wie eine
grosse Silhouette hinter der Ge-
stalt und dem Schaffen des däni-
schen Meisters ersteht — man wird
über Thorwaldsen fürder nicht
schreiben, ohne Lange’s Buch
studirt zu haben. Karl Rosner .

Choix de Poésies. Paul
Verlaine
. Édition augmentée
d’une préface de François Coppée.
Paris. Bibliothèque Charpentier.
1896.

Dichter werden nach ihrem
Tode oft noch sehr nützliche
Menschen. Die wackeren Portiers,
die sie bei Lebzeiten geringschätzig
grüssten, mögen sich das immer
vor Augen halten. So dürfte es
auch dem armen Verlaine be-
stimmt sein. Die kürzlich in neuer
Ausgabe gedruckte Auswahl aus
seinen Werken liegt schon im
zehnten Tausend vor und kann
leicht noch weitere Tausende er-
klimmen. Die Nekrologe summen
noch in allen Ohren, die Zeitungs-
nachrichten haben das literarische
Interesse angeschürt. So starb er
dem Verleger sehr gelegen. Mit
der Entschlossenheit des Mannes,
der sich sagt: Jetzt muss es los-
gehen! annoncirte dieser Alles,
was von und über Verlaine bei
ihm erschien. Was geschehen
konnte, geschah. Ein Porträt des
Dichters nach Carrière ist da und
für solche, die auf gute Einführung
halten, eine Vorrede von François
Coppée, deren wichtigste Stelle
lautet: »Comme l’enfant, il était
sans défense aucune, et la vie l’a
souvent et cruellement blessé.
Mais la souffrance est la rançon
du génie, et ce mot peut être
prononcé en parlant de Verlaine,
car son nom éveillera toujours le
souvenir d’une poésie absolument
nouvelle et qui a pris dans les
lettres françaises l’importance d’une
découverte.« In dieser handlichen
und billigen Sammlung werden dem
Leser Verlaine’s beste Gedichte ge-
reicht. Dr. Emil Rechert .



Herausgeber und verantwortlicher Redacteur: Rudolf Strauss.

Ch. Reisser & M. Werthner, Wien.

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 7, S. 280, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-01-07_n0280.html)