Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 11, S. 440

Hafner und Weilhart, »Keine Sühne« Weilhart und Hafner, »Keine Sühne« Rechert, »Rauchringe«

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Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 11, S. 440

Text

440 KRITIK.

und Josef Hafner. Dresden und
Leipzig. E. Pierson’s Verlag, 1897.

Das Drama wendet sich mit
einem heftigen Protest gegen unsere
Gerichtsstrafen. Es gibt keine Sühne,
keine moralische Rechtfertigung,
das ist die deprimirende Conse-
quenz, die wir am Schlusse ziehen
müssen. Was wir Sühne nennen,
ist eigentlich nur Rache der be-
leidigten Menschheit, ist ein Hinter-
pförtchen zur Ehre und zum Jen-
seits für die guten und anständigen
Leute. Mit vieler Geschicklichkeit
ist zu dieser Theorie eine inter-
essante Handlung erfunden, die
an dramatisch bewegten Scenen
reich ist. Ein recht gut geführter
Dialog, der nur bisweilen zu pathe-
tisch wird, und eine scharfe Cha-
rakterisirung vervollständigen den
günstigen Eindruck des Werkes.

W. W.

Rauchringe. Gedichte von
Emil Rechert. Wien, Leopold
Weiss, 1897.

Es ist ein feiner Geist der Ironie,
der sich aus diesem Buch ver-
nehmen lässt. Zwar sind die Töne,
die er findet, nicht durchaus neu,

wohl aber sind sie hell und graziös
und schmiegen sich mit ihrer leichten
Melodie ins Ohr. Man hat den
Eindruck, als träte man in eine
andere lichte, sonnendurchfluthete
Welt, in eine Welt, in der man
sich nicht müht und dennoch auch
nicht langweilt. Wunschlos lehnt
man am Fenster, durch das die
herbe, befreiende Frühlingssonne
würzig hereinbebt, bläst den feinen
blauen Dampf einer duftenden
Cigarrette von sich und blickt
durch die zierlichen, schwankenden
Ringe lächelnd, mit einem leisen,
aber gutmüthigen Philosophenspott
auf die keuchende, rastlose Menge,
die sich unten hastig vorbeistösst.
Will man der Geste glauben, so
hat ein Skeptiker, ein Lebens-
künstler diese klugen, eleganten
Verse geschrieben, ein Mann, der
nichts mehr hasst und nichts mehr
wünscht, weil er Alles versteht
und darum Alles nur belächelt.
Hoffen wir, dass es ihm mit seinem
Scherze wenigstens theilweise Ernst
ist — auch dann schon wäre er ein
Weiser, auch dann schon müsste
man ihn schätzen. R. St.



Herausgeber und verantwortlicher Redacteur: Rudolf Strauss.

Ch. Reisser & M. Werthner, Wien.

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 11, S. 440, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-01-11_n0440.html)