Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 12, S. 469
Text
einer Stelle. Doch möge man darum nicht gleich an den grinsenden
Clown mit dem blutenden Herzen denken! Die Sache ist weder so
einfach, noch so sentimental. Der Humor ist, wie die »Antierotik«, ein
Mittel der Erhebung über die Drangsale und Schnödigkeit dieser Welt.
Er ist nur denkbar bei einer ungewöhnlich robusten Natur, in der
noch etwas von der Sackträgerausdauer vergangener Generationen
lebendig ist.
Dann gibt es freilich für diesen Humor keine Grenzen mehr. In
der blühenden Fülle seiner phantastischen Laune spielt er ebenso heiter-
tändelnd mit dem tiefsten Grauen menschlichen Geschicks wie mit dem
kinderhellen Lachen vergnügter Narrenstimmung. Den Tod selbst sieht
man ins Burleske gezogen, wie in der Geschichte jenes geärgerten
Ehemannes, der seinem Weibe plötzlich das Genick umdreht und dann
losrodomontirt, oder im »Despotenstücke vom armen Dichter Litofôba,
der sich das Schwert durch die Brust stösst, weil ihm sein Tyrann
keinen braunen Wein mehr verabreichen will.
Aber aus allem Grauen, aus den schwarzen Schrecken, durch die
der Humor mit zuckenden Lichtern spielt, richtet sich immer ein ver-
trauender Blick empor zu jener Sternenwelt, die über den irdischen
Leiden der Menschheit gelassen kreist, und aus deren Anschauung ein
Gefühl der Grosse, der Ewigkeit, der unzerstörbaren Heiterkeit in uns
überquillt. Und wir wissen dann, dass auch die Erde, die arg verleum-
dete, immer noch Schätze und Blüthen birgt, an denen wir uns be-
reichern und berauschen können, und dass auch die Schönheit und die
Seligkeit, trotz Allem, unsterblich sind.
Als der unselige Safur verbittert, vereinsamt, vom Wahnsinn ver-
zerrt, in der verlassenen Lehmhütte am Tigris seinem nichtsnutzigen
Leben ein grauses Ende gesetzt hat, da weist der Dichter mit zarter
Hand durch zwei schlicht nebeneinander gesetzte Bilder auf die ewige
und unauflösbare Verschlingung irdischen Grauens und irdischer Schön-
heitsseligkeit hin:
»Die Hyänen kommen langsam näher.
Wunderbar duften die weissen Rosen.«
Es sind dieselben weissen Rosen, unter denen Safur mit der
Tarub und den Freunden rauschvoll gezecht hat, unter denen er sich
seinen Dichterträumen von der Dschinne hingab.
Die duften jetzt weiter und werden ewig weiter duften, trotz Tod,
Verwesung und Hyänen
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 1, Nr. 12, S. 469, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-01-12_n0469.html)