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toine, dieser einfache, wägende
Schauspieler, der in seinem Naturalis-
mus so weit geht, dass seine Stimme
kaum verständlich, sein Antlitz uns
kaum jemals sichtbar wird. Da ist
Marcelle Josset, die als Anti-
veristin kat exochen mit jeder
Geste, jeder Miene zu der Menge
spricht. Wenn Antoine fast spielt,
als hätte unsre Bühne die viel-
genannte vierte Wand, mimt Ma-
demoiselle Josset vergnügt zum
Fenster hinaus. Nie sieht man ihr
Profil, sondern immer voll ihr Ge-
sicht. Auf ihrem Spiele lasten die
Schatten einer besseren Vergangen-
heit. In ihrer Jugend mag sie Ein-
druck gemacht, mag sie mit ihren
weissen Zähnen und ihrem feinen,
schwülen Lächeln stark gewirkt
haben. Heute stösst sie damit nur
ab. Ihr fehlt die Technik
ihrer Mittel. Sie war einst schön,
das ist ihr Fluch. Nun ist sie
hässlich, alt — und hat nicht um-
gelernt und nicht vergessen. So
ward sie eine Stümperin. Denn ihr
Spiel, es ruft, es schreit nach Sonne,
die sie nicht mehr hat, nach Grazie,
die sie längst verlor. Unsere Seele
aber dürstet nach Schönheit; sie
braucht sie zum Leben, wie unser
Körper Luft und Licht. Antoine’s
so nüchterne Klugheit, Marcelle
Josset’s verbrauchte Koketterie, sie
steigern diesen heissen Durst, doch
sie löschen, ja sie lindern ihn
nicht einmal. So werden wir ver-
zweifelt mürbe und bescheiden und
begnügen uns schon mit dieser
leisen, discreten Anmuth Dumény’s,
der zwar kein grosser, aber ein
feiner Schauspieler ist, und mit der
eleganten, echt pariserischen Zier-
lichkeit der Heller. Sie stören
unsere Begeisterung für sie mit
ihrem Spiel nicht zu empfindlich,
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man kann ihnen applaudiren, ohne
sich schämen zu müssen, und man
macht von dieser Möglichkeit
heiter, fast dankbar Gebrauch.
R. St.
Volkstheater. »Pietro Ca-
ruso« von Roberto Bracco. »Die
Liebe« von Richard Nordmann.
In »Pietro Caruso« sucht Bracco
dem Thema der Verführung eine
neue Note abzuzwingen. Der Vater,
der die Schande seiner Tochter
entdeckt, tödtet nicht sie, nicht
den Geliebten, sondern sich selbst.
Bracco’s staunenswerther Technik
gelingt es, dies fast Unglaubliche
glaublich zu machen. Als der junge
gräfliche Eroberer dem Vater ruhig
erklärt, er werde die Gefallene
nicht heiraten, sie könne höchstens
seine »Freundin« werden, weil sie
Caruso’s Tochter sei — da taumelt
der Alte. Alle Schuld ist von dem
schönen, sehnsüchtigen Mädchen
auf seine eigene sündige Seele ge-
wälzt, und unter dieser Last bricht
er zusammen. Wie verkommen,
wie verloren er auch ist, die Liebe
zu seinem Kinde hat er sich rein
und hell bewahrt. Als Margherita
dann mit heimlicher Freude sich
bereit erklärt, des Grafen Vor-
schlag anzunehmen und seine Ge-
liebte zu werden, da fühlt sich
Caruso so sehr als Ursache dieses
Schritts, dass er verzweifelt zu
der Waffe greift Das meister-
haft gebaute kleine Stück gefiel. Wäre
Dr. Tyrolt als Vater nicht so ent-
setzlich verlogen und sentimental
gewesen, dann hätte die vornehme
Ruhe Christians’ und selbst die
fröhliche Tragik der Retty dem
Stück auch bei den Wissenden
Geltung verschafft. — — Da-
gegen vermochte Richard Nord-
mann’s höchst unglückliche »Liebe«
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