Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 13, S. 489
Text
In Birken und Linden ein silbern Schimmern
Die Wellen, die weissen, im Mondlicht flimmern
Wie langes Haar, umkost vom Abendwind,
So liegt der See, in lichte Nebel lind
Gehüllt, und Spiegeln gleich die tiefen Wasser sind.
Mit sanftem Ruderschlag mein Kahn
Gleitet auf dunkler Traumesbahn.
Er gleitet in unendliche Ferne,
Ueber die Himmel, über die Sterne.
Die Ruder tauchen auf und nieder
Und singen Friedensehnsuchtslieder.
Das Aug’ geschlossen, all’ mein Sehnen,
In dieser Müde hör’ ich’s verklingen,
In langgezognen, weichen Tönen.
Am Hügel lehnt der Mond und sieht in Schweigen
Mein schwebend Boot sich wiegen und sich neigen
Drei Lilien mir ihr sterbend Antlitz zeigen.
Ist’s ihre Seel,’ du bleich’ wollüstige Stund?
Ist’s meine, die verhaucht an deinem Mund?
Silbernächtges Haar, umspielt von wiegendem Schilf
Wie das Mondlicht im See,
Wie der Lilien Schnee,
Durch meine Seele zieht das alte Weh
Paris. A. Samain.
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 13, S. 489, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-02-13_n0489.html)