Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 14, S. 521
Text
Wiener Rundschau.
1. JUNI 1897.
BEKENNTNISSE.
Scherz in französischem Styl von Peter Nansen (Kopenhagen).
(Aus dem Manuscript übersetzt.)
Liebe Freundin!
Sie fragten mich eines der letztenmale, als wir uns
sahen, mit jener sanften Nachsicht, die einen besonderen
Charakterzug Ihrer liebreizenden Persönlichkeit bildet, ob mir
irgend etwas fehle. Sie meinten, ich sei nicht so heiter und
fröhlich wie sonst, wenn ich mit Ihnen zusammen bin.
Ich antwortete mit einer der gesellschaftlichen Lügen,
die wir civilisirten Menschen stets bei der Hand haben. Ich
schützte — glaube ich — Verstimmtheit vor über einen Zu-
sammenstoss, den ich mit einem Droschkenkutscher gehabt
hatte, der mich übervortheilen wollte, und mit einem Schutz-
mann, der die Partei des Droschkenkutschers nahm. Im
Uebrigen erfand ich diese Geschichte, die ich in allen ihren
unangenehmen Einzelheiten ausmalte, keineswegs. Die Ge-
schichte war mir wirklich im vorigen oder im vorvorigen
Jahre einmal passirt, und während ich sie erzählte, erstand
die ganze Begebenheit wieder so lebhaft in meiner Erinne-
rung, dass ich meine längst verjährte Wuth von Neuem auf-
flammen fühlte. Es gibt nämlich nichts, was meine Würde
als Culturmensch tiefer kränkt, als wenn ein Droschken-
kutscher oder ein Dienstmann sich eine unerlaubte Einnahme
auf meine Kosten machen will, und es gibt nichts, was meine
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 14, S. 521, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-02-14_n0521.html)