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Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 15, S. 561

Text

Wiener Rundschau.


15. JUNI 1897.


DER VATER.
Von Björnstjerne Björnson.
Deutsch von Wilhelm Thal.

Der Mann, von dem hier die Rede ist, war der erste seines Kirch-
spiels und hiess Thorr Oeverhaas.

Eines Tages erschien er in dem Arbeitszimmer des Pastors; hoch
trug er das Haupt und sprach mit feierlichem Ernste:

»Es ist mir ein Sohn geboren worden, und ich will ihn taufen
lassen.«

»Welchen Namen willst du ihm geben?«

»Finn, nach meinem Vater.«

»Und wer sind die Pathen und Pathinnen?«

Thorr nannte sie; es waren Männer und Frauen, die an-
gesehensten Leute des Kirchspiels, die Alle zur Familie des Vaters
gehörten.

»Hast du mir noch etwas zu sagen?« fragte der Pastor, ihn an-
sehend. Der Bauer blieb einen Augenblick stumm, dann sagte er: »Ich
möchte gern, dass mein Sohn ganz allein getauft werde.«

»Das heisst, an einem Wochentage?«

»Ja, nächsten Sonnabend um 12 Uhr Mittag.«

»Ist das Alles?«

»Ich wüsste weiter nichts!«

Der Bauer drehte seinen Hut in den Händen, als wolle er gehen.
Der Pastor erhob sich und sagte auf Thorr zuschreitend, seine Hand
ergreifend und ihm in die Augen blickend:

»Lass’ mich dir, bevor du gehst, noch einen Wunsch aussprechen,
der dich begleiten mag. Gott gebe, dass dieses Kind für dich ein
Segen sei.«

Sechzehn Jahre nach diesem Tage erschien Thorr wieder in dem
Arbeitszimmer des Pastors.

»Du hältst dich gut, Thorr,« sagte dieser zu ihm, denn er fand
ihn gar nicht verändert.

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 15, S. 561, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-02-15_n0561.html)