Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 15, S. 562
Text
»Ich habe keine Sorgen.«
Der Pastor erwiderte nichts; und nach kurzer Pause fuhr er fort:
»Was ist heut’ Abend dein Begehr?«
»Heut’ Abend komme ich wegen meines Sohnes, der morgen ein-
gesegnet werden soll.«
»Es ist ein braves Kind.«
»Ich habe Euch Eure Gebühr nicht bezahlen wollen, bevor ich
nicht wusste, welchen Platz er in der Kirche erhalten würde.«
»Ich habe ihm den ersten angewiesen.«
»Jetzt bin ich befriedigt, und hier sind zehn Thaler für Euch.«
»Wünschest du sonst noch etwas?« fragte der Pastor und sah
ihn an.
»Ich wüsste nichts weiter.«
Und Thorr ging von dannen.
Wieder waren acht Jahre verflossen, als man eines Tages vor dem
Hause des Pastors einen starken Lärm vernahm. Ein Trupp Männer
trat ein, Thorr an der Spitze. Der Pastor erhob die Augen und
erkannte ihn.
»Du kommst heut’ Abend in zahlreicher Gesellschaft.«
»Ich will das Aufgebot für meinen Sohn bestellen, er heiratet
Rarin Storliden, die Tochter Gudmund’s, der hier anwesend ist.«
»Das ist die reichste Partie in der ganzen Gemeinde.«
»Man sagt es«, versetzte der Vater und fuhr sich mit rascher
Bewegung durch die Haare.
Der Pastor blieb einen Augenblick in Nachdenken versunken.
Ohne etwas zu sagen, schrieb er die Namen in das Register, und die
anwesenden drei Männer unterzeichneten. Thorr legte die Thaler auf
den Tisch.
»Es kommt mir nur einer zu«, sagte der Pastor.
»Ich weiss, was Euch zukommt, doch es ist mein einziges Kind,
und ich liebe es, die Dinge ordentlich zu thun.«
Auf diese Erklärung hin nahm der Pastor das Geld.
»Das ist das drittemal, dass du deines Sohnes wegen hierher-
kommst, Thorr.«
»Jetzt bin ich mit ihm fertig«, erwiderte ihm der Vater, zog
die Schnüre seiner Börse zusammen, nahm Abschied und ging fort,
während die Andern ihm langsam folgten.
Vierzehn Tage später ruderten Vater und Sohn bei ruhigem
Wetter über den Fjord, um sich nach Storliden zu begeben und das
Hochzeitsmahl zu bestellen.
»Die Bank unter mir ist nicht fest«, sagte der Sohn und stand
auf, um sie festzuschnallen. In demselben Augenblicke klappte das
Brett, auf dem er sich hielt, um, er schlug mit den Händen in die Luft
und fiel mit einem Angstschrei ins Wasser.
»Halt’ das Ruder fest«, rief Thorr und reichte es ihm schnell.
Sein Sohn klammerte sich daran fest, doch bald liessen seine gelähmten
Hände los.
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 15, S. 562, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-02-15_n0562.html)