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Secession. Bei einer jüngst
abgehaltenen Versammlung der
Künstlergenossenschaft kam es zu
heftigen Scenen, die einen starken
parlamentarischen Anstrich hatten.
Eine Gruppe von Künstlern, denen
man ihre modernen Empfindungen
nicht recht glauben mochte, hat
sich in der gemeinsamen Entrüstung
gegen den Vorstand der Genossen-
schaft zu einer Secession zusammen-
gefunden. Wir beziehen nämlich
nicht nur unsere Kunstanschauungen
stetig aus dem Auslande, sondern
auch die Recepte zu ihrer wirk-
samen Verwerthung. Nachdem die
Münchener Modernen eine Se-
cession gegründet hatten, wäre es
unwienerisch gewesen, nicht das
Gleiche zu thun. Bei der ebenfalls
echt wienerischen Neigung für
alle Halbheit meinte man anfangs,
trotzdem im besten Einvernehmen
mit der Künstlergenossenschaft
bleiben zu können. Unsere Künstler,
die eben über ihren persönlichen
Vortheil nie ganz hinwegkommen,
möchten gerne das Beste von
beiden Tischen nehmen. Das glän-
zendste Beispiel lieferte Herr
Ottenfeld, der sich erst von der
Künstlergenossenschaft mit dem
Reichel-Preis und der goldenen
Staatsmedaille prämiiren liess, ehe
er officiell zur Secession übertrat.
Man mag mit dem Streben der
Wiener Secessionisten sympathi-
siren, die Art, wie sie sich von
der Künstlergenossenschaft los-
sagten, ist doch nur der alte
Schlendrian mit modernen Alluren.
In den ehrwürdigen, kunstkeuschen
Genossenschaftsräumen Hess sich
der Toilettewechsel der künstleri-
schen Anschauungen — als einen
solchen betrachten die Wiener mit
wenigen Ausnahmen die Moderne
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— nur schwer vollziehen, man
musste daher ausziehen und ein
eigenes Quartier aufsuchen.
Bis zur Fertigstellung des neuen
Kunstpalastes bauen die Secessio-
nisten Luftschlösser, die ihrer be-
gabtesten Architekten würdig sind.
Die Ausmalung derselben besorgt
Herr Carl Moll mit viel Phan-
tasie und Farbenpracht, er hat
hierin bisher unerwartete künst-
lerische Qualitäten bewiesen. Was
in die Räume der Secession —
wenn die Pläne der neuen Künstler-
vereinigung plastische Gestalt ge-
wonnen haben — einziehen wird,
wissen wir nicht. Eine segensreiche
Vermittlung der modernen Kunst
des Auslandes erhoffen wir in jedem
Falle. Ob aber die Wiener Kunst
den erwarteten Aufschwung nehmen
wird, bleibt noch eine offene Frage.
Dazu brauchten wir in erster Linie
zu der neuen Kunst auch neue
Künstler.
w—m.
Vincenz Chiavacci — ent-
deckt! Da Hermann Bahr mit
seinen neuen Dichtern so wenig
Anklang fand, hat er den Ent-
schluss gefasst, von jetzt ab nur
mehr bekannte, altbewährte Schrift-
steller zu entdecken. Das ist gefahr-
los und sichert überdies den unbe-
dingten Beifall der Wiener Collegen-
schaft. Der Anfang ist bereits ge-
macht, Chiavacci heisst der hoff-
nungsvolle Autor, der bisher nur in
weiteren Kreisen des Publicums
Anerkennung gefunden hat, jetzt
aber auch im Kreise der Intimen
populär werden soll. Bis heute war er
nur als der joviale Wiener Dialect-
humorist bekannt, was Herr Bahr
etwa in die Worte kleidet: Man
musste, wenn man die »Frau
Sopherl« las, an Horaz, den milden
Sänger der zufriedenen Minuten,
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