Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 14, S. 558

Unsere Kunstkritik Slevogt Secession Edmund Hellmer’s Marmorbrunnen Bang, »Die vier Teufel«

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Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 14, S. 558

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558 NOTIZEN

ein Vergleich desselben gegen die
Weyr’sche Gruppe »Die Macht zur
See« auf. Hellmer ist zweifellos
der dankbareren Aufgabe gegen-
übergestanden. Eine Symbolisirung
der Seemächte musste den Künstler
auf das schon furchtbar ausge-
schrotete Gebiet der Nymphen,
Nereïden und Tritonen drängen.
Nur ein Künstler vom Range
Weyr’s vermochte sich mit allen
Ehren aus der Affaire zu ziehen.
Er schuf einen mächtigen Neptun
und einige Meerungeheuer freier
Phantasieerfindung von Böcklein-
scher Kraft und Urwüchsigkeit.
Hellmer hatte es viel leichter, in
seinem Vorwurf moderne Elemente
mit antikisirenden Grundformen
zu verschmelzen. Während Weyr
sich mehr an den im Sinne
Fischer v. Erlach’s liegenden Barock-
styl hielt, konnte es Hellmer nicht
über sich bringen, seinen Drang
nach moderner Gestaltung zu ver-
leugnen. Freilich entstanden da-
durch mehrfache Styluneinigkeiten;
so hält die hochaufragende, kräftig
modellirte Jünglingsgestalt die Linke
auf einem mit ihren antiken Formen
und dem archaistischen Stirnband
durchaus nicht übereinstimmenden,
höchst modernen Raufdegen. Aber
das sind Kleinigkeiten, die die
Freude am Ganzen nicht ver-
kümmern sollen. Man könnte sie
als plastische Licenzen entschuldi-
gen. Eine Neuerung versucht
Hellmer in der Anordnung der
Figuren, bei welcher er mit Ab-
sicht von dem gebräuchlichen Sy-
stem des Ausgleichens der Massen
abgeht. Er verlegt die Haupt-
figuren auf die linke Seite, während
die rechte durch einen mäch-
tigen, flügelschlagenden Adler und
eine heimtückisch emporzüngelnde

Schlange nur spärlich bedacht wird.
Das Gesammtbild ist trotzdem kein
störendes oder unharmonisches.
Die einzelnen Figuren der an-
stürmenden Gnomen sind mit Kraft
und Kühnheit modellirt. Besonders
auffallend ist die Würdigung, die
der Künstler den anatomischen
Formen angedeihen lässt, eine
künstlerische Gründlichkeit, die
Hellmer auch auf seine talentirte
Schülerin Fraulein Th. F. Ries
übertragen hat. Das Werk, das
trotz der Verschiedenheit der In-
dividualitäten aufs Prächtigste mit
dem Weyr’schen Brunnen harmo-
nirt, bildet eine neue Zierde unserer
Stadt und einen abermaligen Be-
weis dafür, dass es um die Plastik
bei uns weitaus besser bestellt ist
als um die Malerei. Paul Wilhelm.

Die vier Teufel, eine excen-
trische Novelle von Hermann Bang.
Autorisirte Uebersetzung von Ernst
Brausewetter. Berlin, S. Fischer,
Verlag, 1897.

Hermann Bang beweist ein emi-
nentes Talent für die Schilderung
von psychologischen Problemen:
Das Verhältniss, das Seelenleben
der Artistengruppe »Die vier Teufel«
ist mit jener wundervollen Klarheit
gezeichnet, die ein Specificum der
Nordländer bildet. Der sehnsüchtig-
üppigen Sprache, dem überquellen-
den Empfinden Peter Nansen’s
ähnelt Bang’s Art und Weise zu-
weilen, ohne dabei jedoch in
schülerhafte Nachäffung auszuarten.
Das kleine Buch, das sich mit
Unrecht eine »excentrische« Novelle
nennt — es könnte ihm leicht ein re-
ales Erlebniss zugrunde liegen — ist
eine der werthvollsten Bereicherun-
gen der »Collection Fischer«, welcher
das deutsche Publicum schon man-
ches Beachtenswerthe dankt. A. N.

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 14, S. 558, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-02-14_n0558.html)