Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 13, S. 495

Spruch Einklang (Evers, FranzBodman, Emanuel von)

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Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 13, S. 495

Text

EINKLANG.

Es war ein Sehnen in mir aufgegangen
Und ist noch lange, lange glühn geblieben.
In Fernen wollten meine Hände langen,
Ich sah im Geiste alle meine Lieben.

Und hohe Felsen warfen letzte Schatten,
Ein Wasser quoll aus einem erdnen Munde,
Und weisse Blüthen glänzten auf den Matten,
Wir sassen da in einer engen Runde.

Sie waren alle zu mir hergekommen:
Die frühen Freunde, meine beiden Schwestern,
Mein Vater, den der Tod mir fortgenommen,
Und du, mein Weib; es gab kein Heut, kein Gestern.

Wir hörten unsre Seelen gleich erklingen.
Sie klangen wie Krystall in blauen Nächten.
Wie licht die Töne ineinandergingen!
Dir aber küsste ich die braunen Flechten.

Es dunkelte. So haben wir umschlungen
Den Kelch der ewigen Liebe ausgetrunken
Und sind, von ihrer Süssigkeit durchdrungen,
Alle in Eins, in Luft, ins All gesunken.

München. Emanuel v. Bodman.


SPRUCH.

In schönen Formen lernst du Vieles wissen,
Versteh nur recht, wie sich die Form gebiert.
Wo Kraft und Heiterkeit die Flagge hissen,
Fühlst du berauscht, wie sich der Gram verliert.

Verstört und zweifelnd sein in Finsternissen,
Ist nur ein Traum, der aus dem Trüben giert —
Du aber sollst mit lachendem Gewissen
Die Schönheit trinken, die dein Leben ziert!

Berlin. Franz Evers.


Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 13, S. 495, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-02-13_n0495.html)