Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 13, S. 510
Gegen die Emancipation des Weibes (Weisengrün, Dr. Paul)
Text
Inwieweit nun die Frauenfrage selbst eine Complication der
socialen Frage darstellt, ist leicht zu ersehen. Sie bedeutet zunächst
eine Zersplitterung der Kräfte. Die Proletarierbataillone nehmen da an
einem Kampf theil, der sie, im Grunde genommen, nichts angeht, und
der, wenn man die Dinge tiefer betrachtet, gar kein Classenkampf ist.
Man denke sich heutzutage eine siegreiche Socialdemokratie. Ungeheuere
Schwierigkeiten, wie das Agrarproblem, die Frage der Dichtigkeit der
Bevölkerung etc., sind vorhanden, gewaltige sociale Probleme harren der
Lösung. Man denke sich dann die Frauen, welche nun auch alle das
Stimmrecht haben. In welcher verwirrenden Weise würden sie gemäss
ihrer subjectiven Natur, gemäss ihrer anderen Denkart in das sociale
Getriebe eingreifen! Ein siegreicher Socialismus würde durch die Frauen-
rechtlerinnen und ihren Anhang compromittirt werden. Wiederum wäre
es eine Demagogie sondergleichen, wollten die Socialisten nur jetzt für
das Weib eintreten, so lange sie nicht am Ruder sind. Also müssen
sie sich gegen die Forderung des allgemeinen Stimmrechtes erklären.
Dass die Gegner des Socialismus auch gar kein Interesse an der
Frauenemancipation haben können, bedarf wohl keines Beweises. An
der Frauenemancipation wirklich interessirt sind daher nur einige hundert
Frauenrechtlerinnen.
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 13, S. 510, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-02-13_n0510.html)