Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 16, S. 606

Quintin Messis (Kürnberger, Ferdinand)

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Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 16, S. 606

Text

606 KÜRNBERGER.

Dorothea. Ei, macht mich nicht so kostbar, sonst muss ich
fürchten, auch so einzig zu bleiben, als ich bin, und das möcht’ ich
doch nicht gerne.

Messis. Gewiss, ich kann mir keinen Mann denken, den ich
Euch werth hielte!

Dorothea. Nicht? Aber ich!

Messis (ergreift mit Wärme ihre Hand). Was soll ich einem edlen
Weibe wünschen? Dass sie ihres Werthes sich bewusst sei? Dann wäre
sie vielleicht so liebenswürdig nicht, dass sie, sich selbst verborgen,
ihren unbefangenen Wandel durch die Welt gehe. Dann verschenkt
sie vielleicht die Summe unschätzbarer Herrlichkeiten um elenden Bettel-
werth, wie jener Krieger, der den erbeuteten Diamant des feindlichen
Fürsten für schlechte Münze losschlug. Und, o, was schmerzt mehr,
als ein solches Schauspiel? Ein edles Weib der Besitz eines unberufenen
Selbstlings! Fräulein, wenn Ihr einst wählt — das Eine versprecht mir!
— wählt Eurer würdig!

Dorothea. Guter Messis!

3. Scene.

Die Vorigen. Memling.

Memling (auftretend). Ist es erlaubt, einen Blick vor der Zeit
zu thun.

Messis: Vor der Zeit? Meine Zeit ist um, ich bin fertig.

Memling. Ha, wie sich das eilt! Lasst einmal sehen.

Messis. Mir schlägt das Herz wie unterm Hochgerichte.

Memling. Ob wohl Einer von euch mit fester Hand ge-
zeichnet hat? — Gebt!

Messis. Da!

Memling (mit Ekstase). Messis!

Messis. Nun?

Memling. Könnt’ ich sagen, es ist mein Verdienst! Aber das
ist es so wenig, wie wenn Jemand einen Brunnen graben will, und der
Quell springt ihm auf der Oberfläche entgegen.

Messis. Ihr seid also zufrieden mit dem Bilde?

Memling. Verwundert hätt’ es mich, wär’ es Euch missrathen,
aber nun — da es Euch so einzig gelungen ist, verwundert mich’s
wieder.

Messis. Ach, wir wollen sehen, was Dagobert ausgeheckt hat!

Memling. Bei Gott, ich bin in grosser Spannung. Seit meine
Schule besteht, ward solch ein Wettstreit nicht geführt in ihr. Ich bin
überzeugt, die zwei grössten Maler der Zukunft messen sich hier.

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 16, S. 606, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-02-16_n0606.html)